2,3 Millionen Kubikmeter Müll: Stillgelegte Deponie im Kreis Gießen macht jede Menge Arbeit

Für die Ortsansässigen ist die ehemalige Mülldeponie im Kreis Gießen längst ein gewohnter Anblick. Doch noch Jahrzehnte wird der Berg engmaschig überwacht werden müssen.
Reiskirchen – Es ist ein beeindruckender Berg zwischen Reiskirchen und der Autobahn 5. Klar, mit dem Matterhorn kann er nicht mithalten. Jedoch ist dieser Berg auch nicht von der Natur, sondern von Menschenhand gemacht. Und er besteht zu großem Teil aus Müll.
Am 13. Februar 1973 ging die Reiskirchener Müllhalde in Betrieb. Über Jahrzehnte landete dort alles, was nicht mehr gebraucht wurde: Bauschutt und Hausmüll, alte Schrankwände und Klärschlamm. Insgesamt 2,3 Millionen Kubikmeter Müll türmen sich auf. Seit 2001 rollen keine Müllfahrzeuge mehr zur Deponie. Trotzdem läuft noch immer die Stilllegungsphase. Und das wird noch einige Jahrzehnte so bleiben. Markus Staab von der Abfallwirtschaft des Landkreises Gießen kennt die Deponie genau. Seit Jahren kontrolliert er sie regelmäßig, nimmt Proben und fasst die Ergebnisse von Gutachten und Untersuchungen in Eigenkontrollberichten zusammen.
Stillgelegte Mülldeponie im Kreis Gießen: 2020 keine Gefahr für das Grundwasser
Das Ergebnis für 2020: Alles in Ordnung. Weder für das Grundwasser noch für die Luft geht von der ehemaligen Müllhalde eine Gefahr aus.
Zwar hatte man, als die Deponie vor bald 50 Jahren in Betrieb ging, noch keine Basisabdichtung vorgenommen. Dies ist etwa beim Bereich direkt an der Autobahn der Fall. Jedoch war diese damals auch nicht verpflichtend. Erst später wurde die Abdichtung dort nachgerüstet, wo es noch möglich war.
Eine Gefahr fürs Grundwasser besteht nicht. Denn die gesamte Müllhalde liegt auf einem Untergrund, der praktisch dicht ist. »Früher wurden bei der Auswahl als Standort für eine Deponie meist alte Tongruben oder Steinbrüche genommen«, sagt Staab.
Stillgelegte Mülldeponie im Kreis Gießen hat eigene Wetterstation
Dies zeigen auch die Analysen des Grundwassers. Viermal pro Jahr wird es kontrolliert. Laut den Ergebnissen des Untersuchungslabors hat es nahezu Trinkwasserqualität. An drei Messstellen nahe der A 5 war der Chloridgehalt leicht über dem Grenzwert - was jedoch an dem auf der Autobahn verwendeten Streusalz liegen könnte. In den an landwirtschaftliche Flächen angrenzenden Kontrollpunkten wurden erhöhte Nitratwerte festgestellt - da könnte Dünger eine Ursache sein.
»Diese Brunnen werden intensiv beobachtet«, sagt Staab. Eine Probenstelle weist erhöhte Zinkwerte auf. Jedoch ist dort ein Zinkrohr eingebaut worden, welches die Ursache dafür darstellen dürfte.
Um das Grundwasser reinzuhalten, spielt es eine große Rolle, wie mit Niederschlägen umgegangen wird. Ein Teil davon fließt über die Oberfläche ab, ein Teil versickert in der Deponie. Die Deponie verfügt über eine eigene Wetterstation. 2020 fielen rund 2300 Kubikmeter Oberflächenwasser an. 11 800 Kubikmeter Sickerwasser wurden aus dem Müllberg via Drainagen herausgeholt.
Kreis Gießen: Eigene Deponiekläranlage für Sickerwasser
Das Sickerwasser geht zunächst in einen Speicher, wird dann über eine spezielle Kläranlage gereinigt. Das Kuriose: Das ankommende Sickerwasser ist für die Deponiekläranlage eigentlich zu sauber, als dass die biologischen Reinigungssysteme es säubern könnten. Es wird Ethanol »zugefüttert«, damit die Mikroorganismen überhaupt richtig in Schwung kommen.
In der Deponiekläranlage werden unter anderem Kohlenstoffe, aber auch Schwermetalle und absorbierende organische Halogene herausgeholt - letztgenannte könnten sonst Schadstoffe bilden. Das Wasser durchläuft unter anderem eine Ultrafiltration und Aktivkohlefilter. Im Anschluss an die Deponiekläranlage wird es zur Kläranlage nach Gießen geleitet.
Stillgelegte Mülldeponie im Kreis Gießen: Entstehendes Gas wird eingefangen
Staab hat zahlreiche Messwerte zur Wasserqualität vorliegen. Der für Stickstoff etwa erreicht nicht einmal ein Siebtel des Grenzwertes. »Da zeigt sich: Sehr belastet ist unser Wasser nicht. Und was drin ist, holen wir noch gut raus.«
Aufgrund der Zerfallprozesse in der Deponie entsteht Gas. »Durch die Abdeckung kommt derzeit noch viel Feuchtigkeit in die Deponie«, sagt Staab. Dies regt die Mikroorganismen an, die Methan herstellen. Dabei kommt es jedoch darauf an, was in dem jeweiligen Abschnitt der Deponie eingelagert wurde. »Eine ordentlich befüllte Babywindel hat mehr Reaktionspotenzial als ein Stein.«
Das Deponiegas wird über mehrere Gasbrunnen eingesammelt, sodass es nicht in die Atmosphäre entweicht. Es wird in einem Motor verbrannt, erzeugt so Strom und Fernwärme. Seit 1998 wurden etwa 24 Millionen Kilowattstunden Strom aus Deponiegas erzeugt.
Stillgelegte Mülldeponie im Kreis Gießen soll Oberflächenabdichtung erhalten
In naher Zukunft soll die Deponie eine endgültige Oberflächenabdichtung erhalten. Derzeit läuft dafür die Planungsphase.
Die Reiskirchener Deponie erfüllt alle Umweltschutzvorgaben. Ein friedlicher Berg ist sie damit noch lange nicht. Pro Jahr setzt sie sich noch immer gleichmäßig um rund drei Zentimeter. Zudem wird sie noch über Jahrzehnte engmaschig überwacht werden müssen.