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»Artenschutz ernst nehmen«

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Von: Sonja Schwaeppe

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Rund 50 Interessierte, darunter mehrheitlich Mitglieder von Verkehrswende-Initiativen aus der Umgebung und auch einige wenige Reiskirchener Bürgerinnen und Bürger, nahmen am Spaziergang entlang des Trassenverlaufs der geplanten Südumgehung teil. Hier befinden sie sich an der L3129. © Sonja Schwaeppe

Reiskirchen (son). »Wir schauen uns heute einmal an, wie schön es hier ist - und es auch bleiben soll«: Mit diesen Worten begrüßte Jörg Bergstedt von der Projektgruppe Saasen am Sonntag mehr als 50 Teilnehmende, die sich bei einem Spaziergang einen sinnlichen Eindruck von dem geplanten Trassenverlauf der Südumgehung der Bundesstraße 49 verschaffen wollten.

Auf rund 4,2 Kilometern soll das Straßenbauprojekt südlich der Orte Reiskirchen und Lindenstruth verlaufen.

Nicht nur für Umweltschützer ein großer Frevel an Natur und Landschaft. »Angesichts des Klimawandels und des überall sichtbaren Verlustes von Biodiversität ist dieses Straßenbauprojekt völlig aus der Zeit gefallen«, heißt es in einer Pressemitteilung des Verkehrsclubs Deutschland (VCD). Der Vorsitzende des Kreisverbandes Gießen, Dietmar Jürgens, war vor Ort.

»Es gibt eine echte Alternative zum Autoverkehr hier«, sagte er. Nämlich den zweigleisigen Ausbau der Vogelsbergbahn mit zusätzlichen Haltepunkten in Lindenstruth, Buseck-Ost und Rödgen. Auch ein gut ausgebautes Radwegenetz und ein tragfähiger ÖPNV würden mehr und nachhaltiger zu einer Entlastung der Ortskerne beitragen, als eine Umgehungsstraße, die letztlich »nur mehr Autoverkehr« anziehe.

Jürgens bedauerte, dass eine vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Kassel eingereichte Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss abgewiesen wurde. Dort hatte Anfang Oktober der zweite Senat des VGH den Beschluss zur Südumgehung aus dem Jahre 2016 bestätigt. Eine Revision wurde nicht zugelassen.

Die Kläger, zum einen die Inhaberin des Sonnenhofs in Lindenstruth und zum anderen der VCD Hessen, hätten allerdings noch die Möglichkeit, eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einzulegen - wenn die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt. »Das wird vermutlich Ende Januar 2023 der Fall sein«, mutmaßte Jürgens.

Er hoffte zudem, zukünftig mehr Menschen aus Reiskirchen für die Alternativen zur Umgehungstraße gewinnen zu können. Bei dem Spaziergang waren die Reiskirchener nämlich in der Minderheit. Vornehmlich Verkehrswendeaktivisten aus den umliegenden Gemeinden und aus Gießen hatten die Einladung und das Informationsangebot angenommen.

Die Geschichte zur Planung der Südumgehung hat schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel: Schon im Verkehrswegeplan von 1968 war eine solche Umgehung um Reiskirchen und Lindenstruth angedacht. Im Jahr 1991 stimmte die Gemeinde für den Bau der Südtrasse.

Die Reiskirchener Grünen und die Naturfreunde Jossolleraue strengten schließlich im Jahre 2009 einen Bürgerentscheid an, bei dem sich allerdings eine deutliche Mehrheit der Reiskirchener für die Südumgehung aussprach.

Das Regierungspräsdium Gießen schloss das Anhörungsverfahren 2013 ab. Der Planfeststellungsbeschluss liegt seit Ende 2016 vor. Aufgrund der Klage erlangte er bislang keine Rechtskraft. Zudem hat der Bund noch keine Mittel für das Projekt, dessen Kosten 2016 auf über 16 Millionen Euro geschätzt wurden, bereitgestellt.

Von der Niederlage vor dem VGH wollen sich die Befürworter der alternativen Lösungen nicht entmutigen lassen. Gründe gegen den Ausbau der B49 gebe es genug, wie die Aktivisten aufzählen: Flächenversiegelung, Zerschneidung der Landschaft, mehr Lärm, die steigenden Unfallgefahren durch eine Schnellstraße und die Bedrohung der Natur. Der Kreisbeauftragte Vogelschutz, der wie der VCD-Kreisverbandsvorsitzende ebenfalls Dietmar Jürgens heißt, verwies im Bereich des Naturschutzgebiets Jossolleraue auf die negativen Auswirkungen der Straße auf die Vogelwelt. »Wir haben hier kleinräumige, vielfältige Strukturen, die Lebensraum für Vogelarten wie Heckenbraunelle, Goldammer und Neuntöter bieten«, sagte Jürgens. Die Straße würde die Tiere nicht einfach nur verdrängen - »sie gefährdet sie auch massiv«. Von der Belastung durch den Lärm und dem steigenden Eintrag von Stickoxiden in die Umgebung ganz abgesehen.

»Wir sollten Bestehendes bewahren und uns nicht dem Trugschluss hingeben, man könne intakte Natur irgendwo und irgendwie ausgleichen.« Wenn »die Politik Artenschutz ernst nehme«, dann dürfe die Straße nicht gebaut werden.

Am Sonnenhof an der Martinsstraße in Lindenstruth endete der Spaziergang. »Die Südtrasse, würde sie denn gebaut, verliefe genau durch das Tal hier und würde direkt zwischen dem Pferdehof und dem Martinsheim in Richtung B49 geführt«, zeigte Bergstedt den Verlauf an. Der Hang, an dem Sonnenhof und Martinsheim liegen, müsste für die Straße zwischen den Liegenschaften eingeschnitten werden. Mehrere Hektar Land gingen dem Reiterhof verloren, abgesehen von den sonstigen Beeinträchtigungen durch die dann nur wenige Meter entfernte Schnellstraße. »Aber«, so wiederholte Jörg Bergstedt sein Credo: »Die Straße wird ja nicht gebaut.«

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