Zu Fuß vom Nordkap bis nach Süditalien
Lena Rabenau aus Rabenau und Thilo Volp aus Grünberg haben den Fernwanderweg E 1 geschafft. 8000 Kilometer in 16 Monaten - jetzt erzählen sie von ihrem Abenteuer.
Wenn nicht jetzt, wann dann?« – vor drei Jahren stellten sich Thilo Volp und Lena Rabenau diese Frage. Eher rhetorisch. Stand doch die Antwort längst fest, egal, was die Arbeitgeber sagen würden. Doch beide, ein Energieversorger und ein Pharmaunternehmen, hatten nichts gegen die längere Auszeit einzuwenden, die es braucht, um Europa auf dem E 1 zu durchwandern. Beginnend am Nordkap, weiter über Schweden, Dänemark, Deutschland, die Schweiz, bis Sizilien. 16 Monate sollten am Ende sie für die über 8000 Kilometer benötigen.
Faible für den hohen Norden
Lena und Thilo sind beide 30, mehrfach bereits haben sie mehrwöchige
Trekkingtouren
unternommen. »Jetzt wollten wir das gerne mal für längere Zeit machen«, erzählt Volp. Ob des Faibles für den rauen Norden drängte sich der E 1 mit seinem hohen Skandinavien-Anteil geradezu auf. »Wir sind gerne in ursprünglicher Natur unterwegs, genießen die Ruhe und das Wandern an sich.« Dass sie auch ein »gewisser Ehrgeiz« antrieb, gestehen beide freimütig.
Dank Trekking-Erfahrung und guter Konstitution brauchte es keiner großen Vorbereitung; zumindest was Physis betrifft. Eher prophylaktisch waren die Übungen für die Kniegelenke. Sie blieben denn auch von größeren »Malaisen« verschont, abgesehen von einer Entzündung in Lenas Fußgelenk, was eine Woche Pause bedeutete.
Mit reichlich Vorfreude und Informationen über die Route und deren Tücken im Gepäck, war es am 25. Mai 2016 endlich so weit: Das Abenteuer konnte beginnen.
Am Startpunkt des E1, ein Markierungsstein am Nordkap, entstand das erste Foto, anderthalb Jahre später das letzte, am Capo Passero in Sizilien. Auf dem Weg dahin sammelten sie unvergessliche Eindrücke und Erfahrungen. Etwa jene, dass an Berichten anderer E1-Wanderer was dran ist: »In Norwegen, anders als in Schweden, gibt es fast keine Brücken, mehrfach mussten wir durch Flüsse waten«. Nasse, kalte Füße inklusive. Dafür war der Weg in ganz Skandinavien, wie auch in Deutschland und der Schweiz gut markiert. Ab Mittelitalien dagegen waren sie auf sich gestellt. Gut: Dank GPS ist Orientierung auch abseits der Landstraße kein Hexenwerk mehr.
Gute Menschen, aggressive Hunde
Mag sein, dass sich beide, wenn sie beim (hoffentlich) leckeren Mittagessen in der Kantine sitzen, an die Rationen auf dem E 1 erinnern. Ausgelegt waren die auf die jeweilige Länge der Etappen. Die dauerten im hohen Norden bis zu 16 Tage, erst dann war ein Dorf erreicht. »Jeden Tag morgens Müsli, mittags Knäckebrot und abends Nudeln«, beschreibt Lena die kulinarische Eintönigkeit eines Langstreckenwanderers. Und als Snack: Nüsse, Nüsse, Nüsse. Die platzsparenden Kalorienbomben warfen sie sich immer ein, wenn der Körper nach Energie verlangte. »Am Ende hatten wir rund 50 Kilo verdrückt«, überschlägt die studierte Mathematikerin. Ab und an griffen sie auch auf Konserven zurück, die Wanderer in Schutzhütten liegen gelassen hatten.
Die Verpflegungslage sollte sich erst verbessern, als die dünn besiedelten Gebiete hinter ihnen lagen. »Dann reichten die Etappen von Supermarkt bis Supermarkt.«
Minus 5 Grad als Grenze
Dank der guten Schlafsäcke mussten sie keine Nacht im Zelt vor Kälte bibbern. Minus 5 Grad hatten sich als Grenze gesetzt. Sank das Quecksilber tiefer, suchten sie sich eine feste Behausung. Meist Jugendherbergen, nahmen aber auch, etwa in der Südschweiz, das Angebot eines Bauern wahr und schlugen ihr Zelt im Stall auf. Überhaupt, so Lena Rabenau aus Kesselbach, machten sie nur gute Erfahrungen mit den Mitmenschen. Mit Neugier und Gastfreundschaft begegneten die ihnen fast immer. »Vor allem in Italien, da wurden wir gleich zum Essen eingeladen.« Weniger freundlich erwiesen sich dort die vielen aggressiven Hunde.
Am 13. September 2017 war das Ende des E1, Capo Passero in Sizilien, erreicht. Über 8000 Kilometer lagen hinter ihnen, 50 Kilo Nüsse waren verdaut, drei Paar Schuhe und noch mehr Socken durchgelaufen, ein Dutzend Blasenpflaster verbraucht – doch hatte es keinen Tag gegeben, an dem sie ans Aufgeben gedacht hatten. Das Paar, seit 2015 verheiratet, hatte es auch geschafft, 16 Monate ununterbrochen »aufeinander zu hängen« und sich doch zu vertragen. »Es ging uns ja nie besser. Zudem ist man mit den Gedanken beim Laufen, da kann man gar nicht streiten«, sagt Thilo Volp mit einem Schmunzeln. Und seine Frau antwortet auf die Frage, ob sich am Ziel nicht ein Gefühl großer Befriedigung eingestellt habe: »Nein, wir waren eher traurig, dass es vorbei war.«