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Zeiten des Kasernenhoftons passé

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Bei allen Einsätzen ist es wichtig, dass Führungskräfte und Mannschaft eine Einheit bilden. ARCHIV © Red

In den vergangenen Jahren haben kleinere und größere Konflikte dafür gesorgt, dass die Feuerwehren im Landkreis Ehrenamtliche verloren haben. Der Kreisverband geht dieses Problem nun an: Für den Umgang untereinander wurden zehn sogenannte Leitsterne vereinbart.

Wer zur Freiwilligen Feuerwehr kommt, ist in der Regel hoch motiviert. Er oder sie will Mitmenschen helfen, sich in einem sinnvollen Ehrenamt verwirklich. Diese Motivation schmilzt aber mit der Zeit, wenn auftretende Probleme nicht geklärt werden, der Umgangston rau ist oder sich einzelne Grüppchen absondern und eigene Süppchen kochen. Genau dieses Problem will der Kreisfeuerwehrverband mit dem Projekt »Leitsterne« angehen. Zehn Spielregeln für den Umgang in der Feuerwehr wurden vereinbart und auf einer Karte festgehalten, die nun alle Feuerwehrrkräfte im Kreis in ihren Spinden finden.

Lange Zeit stand bei den Feuerwehren moderne Technik und gute Ausrüstung im Vordergrund, sagte Michael Klier, Vorsitzender des Kreisfeuerwehrverbandes Gießen. Autos allein löschen allerdings keine Brände. Es brauche Menschen, die sie fahren und bedienen. »Feuerwehrkräfte sind motiviert, wenn sie zur Feuerwehr kommen«, sagte Kreisbrandinspektor Mario Binsch. »Ziel muss es sein, ihre Demotivierung zu verhindern.«

Seit 2010 beschäftige man sich im Landkreis intensiv mit der Problematik, habe mit den Stadt- und Gemeindebrandinspektoren darüber gesprochen. Umgang, Kommunikation und Respekt haben sich dabei als Hauptpunkte herausgestellt. »Es gibt Themen, dass sich Führungskräfte nicht wertgeschätzt fühlen, aber ebenso auch Mannschaften«, sagte Binsch.

Da es immer schwerer werde, jemanden zu finden, der Wehrführer oder gar Stadtbrandinspektor werden will, habe man sich zunächst darauf konzentriert, Führungskräften die Arbeit zu erleichtern. Mit den Bürgermeistern wurde darüber gesprochen, wie man diese von Verwaltungsarbeit entlasten kann. Zudem wurden Fortbildungen angeboten.

Im nächsten Schritt will sich der Kreisverband nun den Mannschaften widmen. Landrätin Anita Schneider verglich es mit einem klassischen Arbeitgeber: »Man gewinnt niemanden als Mitarbeiter, wenn erzählt wird, dass man dort schlecht behandelt oder schlecht kommuniziert wird.«

Mittlerweile machen Quereinsteiger einen Großteil der neuen Einsatzkräfte aus, die sich als Erwachsene für das Hobby Feuerwehr entscheiden. Diese müssten auch von der bestehenden Mannschaft offen aufgenommen und akzeptiert werden. Schneider sagte: »Das Engagement braucht gute Rahmenbedingungen, dass man sich wohl fühlt. Sonst überlege ich mir, ob ich da wieder aufhöre.«

Ziel des Projekts sei es, alle Einsatzkräfte und an der Feuerwehr Interessierte zu erreichen, »unabhängig von sozialer und kultureller Herkunft, von der Vielfalt der Berufe«, so die Landrätin. Der Erfahrungshintergrund der Menschen sollte als Schatz betrachtet werden, der bei Einsätzen nützlich sein kann. So können Fremdsprachenkenntnisse etwa helfen, wenn man im Einsatz auf Menschen trifft, die ihr Problem in Deutsch mangels Wortschatz gar nicht exakt beschreiben können.

Ein wichtiger Aspekt ist der Umgang zwischen Führungskräften und Mannschaft. Gegenseitiger Respekt sei die Basis für eine erfolgreiche Arbeit an der Einsatzstelle. Die Zeiten des Kasernenhoftons sind endgültig vorbei. Wer etwa seine Mannschaft nicht respektvoll behandeln oder an der Einsatzstelle nur schreiend kommunizieren kann, sollte seine Eignung als Führungskraft kritisch hinterfragen. Gleichzeitig sollte eine Einsatzkraft, die jede Entscheidung des Einsatzleiters in Frage stellt, ebenso ihr Verhalten überdenken.

Lollars Stadtbrandinspektor Mario Kirchner berichtete davon, dass man als Führungskraft einen respektvollen Umgang vorleben müsse. In Lollar habe man bereits 2015 Spielregeln für den Umgang vereinbart, die jeder unterschrieben habe. »Seitdem wir uns das auferlegt haben, ist viel Ruhe eingekehrt.«

Ein Leitstern beschäftigt sich mit dem Aspekt Kommunikation. Es geht darum, dass alle Einsatzkräfte für sie wichtige Informationen erhalten. Ein weiterer spricht an, dass Konflikte intern, also innerhalb der Feuerwehr oder im Kontakt mit der Verwaltung, geklärt und nicht auf öffentlicher Bühne ausgetragen werden. Gleichzeitig soll mit Problemen und Konflikten aktiv umgegangen, diese nicht unter den Teppich gekehrt werden.

Ein Beispiel, wo all dies schiefgegangen ist, war vor rund fünf Jahren die Feuerwehr Albach. Die eigentlich sachliche Frage nach der Alarmierung bei Unfällen auf der Bundesstraße wurde durch eine gleichzeitig auf Facebook gepostete Rücktrittsforderung gegen den Gemeindebrandinspektor direkt in einen Grabenkampf umgewandelt, der letztlich zum Aus für die Einsatzabteilung führte.

Pohlheims Stadtbrandinspektor Bernd Schöps sieht in dem Fall Albach ein Musterbeispiel dafür, wie es nicht laufen darf. »Daraus konnte man vieles lernen.« Auch Klier sagte, dass man so etwas nicht nochmal erleben möchte. Binsch fügte hinzu, dass man sich darum auf die Basisregeln der Leitsterne geeinigt habe. »Diese sind in allen Feuerwehren transparent.«

Schöps sagte, dass es immer wieder zu Konflikten in den Feuerwehren komme. Dies sei normal. Wichtig sei jedoch, wie man diese löse. Der nun als Leitsterne gemeinsam vereinbarte Maßstab sei dafür »ein tolles Werkzeug«.

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