Weltmarktführer aus Pohlheim: A+W hat Lücke gefunden

A+W aus Pohlheim ist vor wenigen Tagen ins Finale des vom Land vergebenen Preises »Hessen-Champions« eingezogen. Was stellt das seit 44 Jahren existierende, aber im Kreis eher unbekannte Unternehmen eigentlich her? Und wie hat die Corona-Krise die weltweit operierende GmbH getroffen?
Pohlheim - So mancher Manager eines Großkonzerns ist Ende der 70er Jahre die bemooste Treppe an einem Wohnhaus in Linden hinabgestiegen, um zwei Physiker zu treffen: die Existenzgründer Bernd Wirsam und Renate Albat. An einem Computer, so groß wie eine Waschmaschine, programmierten die beiden Software, um den Zuschnitt von Flachglas zu optimieren.
In Wirsams Keller hat damals eine Erfolgsgeschichte ihren Anfang genommen, die zu einem Unternehmen mit heute 200 Mitarbeitern geführt hat, das in seinem Bereich Weltmarktführer ist.
»Begonnen hat es eigentlich als Nachbarschaftshilfe«, erzählt Dr. Michael Küttner, Sprecher von A+W. Küttner sitzt an einem Tisch in einem gläsernen Bürogebäude inmitten eines von Herbstblättern übersäten Parks. Das Unternehmen hat aufgrund seines Wachstums mehrere Umzüge und auch einige Eigentümerwechsel hinter sich, heute gehört es zum kanadischen Konglomerat Constellation Software, seit 2014 sitzt A+W in früheren Gebäuden des einstigen Büromöbelherstellers VOKO in Garbenteich.
Der Unternehmensgründer Wirsam, erzählt Küttner, habe eines Abends mit einem Freund und Nachbarn, dem Glasveredler Henning Meier, über dessen Beruf geplaudert. Kurz darauf tüftelten Wirsam und seine Kollegin Albat in Nachtschichten an einer Software, die sie tagsüber im Betrieb Meiers in Langgöns ausprobierten. »Der Glasveredler hat durch ihre Hilfe Unsummen an Geld eingespart«, erzählt Küttner. In einer Pionierzeit der Programmierung wurde so vor 44 Jahren die Geschäftsidee für A+W geboren.
Allzu bekannt ist das Unternehmen allerdings nicht, auch im Kreis Gießen dürfte A+W eher wenigen Menschen ein Begriff sein. »Wir sind in einer Nische unterwegs«, erklärt Finanzvorstand (CFO) Kai Frenzel. »Die Glas- und Fensterbauindustrie ist extrem spezialisiert.«
Weltmarktführer A+W aus Pohlheim (Kreis Gießen): Produzierende Unternehmen als Kunden
Kunden seien außerdem nicht Privatpersonen, sondern produzierende Unternehmen. In der Öffentlichkeitsarbeit richte man sich gezielt an die Branche und an Hochschulen. »Eine Anzeige in der Lokalzeitung oder ein Bericht in der ›Tagesschau‹ bringen uns nichts«, sagt Frenzel.
Kürzlich stand A+W dennoch für einen Moment im Rampenlicht, als es Mitte September ins Finale des vom Land vergebenen Preises »Hessen-Champions« einzog. Gewonnen hat das Pohlheimer Unternehmen den Wettbewerb nicht. Dennoch habe man die Aufmerksamkeit und würdigenden Worte des Wirtschaftsministers Tarek Al-Wazir durchaus genossen, gesteht Küttner. Es sei schon richtig, dass man trotz des Status als Weltmarktführer eher im Verborgenen agiere. »Für die Mitarbeiter war der Wettbewerb eine Ermutigung.«
120 Menschen sind in der Unternehmenszentrale in Pohlheim tätig, A+W erzielt 30 Millionen Euro Umsatz, in rund 75 Ländern ist es aktiv, Kunden sind beispielsweise Großkonzerne in Frankreich und Belgien sowie mittelständische Betriebe in Asien und Lateinamerika. A+W unterhält Büros unter anderem in Schweden, England, Spanien und Mexiko.
Im Gespräch betonen Mitglieder des Vorstands immer wieder, in welch hochkomplexem Bereich A+W tätig sei. Mitarbeiter zu rekrutieren, gestalte sich schwierig. Viele seien Wirtschaftsinformatiker, müssten dann im Betrieb in Pohlheim in die Eigenheiten der Glas- und Fensterbranche eingelernt werden. Die Fensterproduktion sei eine »Variantenfertigung«, sagt Küttner. Häufig werde dort in niedrigen Stückzahlen und sehr individuell produziert. Die Software von A+W unterstütze unter anderem den Zuschnitt sowie auch den kaufmännischen Bereich der Kunden.
Weltmarktführer A+W aus Pohlheim (Kreis Gießen): „Halten die Kontakte zu unseren Kunden sehr eng“
Der Wachstum von A+W wurde im vergangen Jahr unterdessen abrupt gestoppt. »Corona hat für einen totalen Auftragsstopp bei Großkonzernen gesorgt«, berichtet Dennis Tiegs. »Das war sehr brutal für uns.« Die Konzerne hätten sensibel reagiert und Investitionen auf Eis gelegt, um den Börsenkurs möglichst schnell stabil zu halten. »Der deutsche Mittelstand dagegen hat weitergemacht, als hätte es die Pandemie nie gegeben.«
So habe man Verluste unter Kontrolle halten und Kurzarbeit oder Entlassungen vermeiden können. Auch die Wartung ihrer Software habe für stabile Einnahmen gesorgt. Und doch habe Corona dem weltweit tätigen Unternehmen schwere globale Unterschiede vor Augen geführt. In Mexiko, erzählt Tiegs, habe man mitbekommen, wie ein Unternehmer einem Mitarbeiter eine Sauerstoffflasche persönlich ins Krankenhaus gebracht hat, »weil es dort kein echtes Sozialsystem gibt«.
Küttner erinnert noch einmal an die Anfänge von A+W. So wie Wirsam in seinem Keller einst seinem Nachbarn geholfen hat, so verstehe man heute die Aufgabe der Firma. »Wir halten die Kontakte zu unseren Kunden sehr eng«, sagt Küttner. »Dadurch wissen wir, wo der Schuh drückt.« So komme man auch auf Ideen in der Softwareentwicklung, »nach denen uns niemand direkt gefragt hat«.