Trauerspiel Volkstrauertag
Sich an einem Sonntag mit dem Thema Tod auseinandersetzen - das wollen heute nur noch wenige Menschen. Dementsprechend sind die Volkstrauertagsveranstaltungen in vielen Orten im Landkreis Gießen schlecht besucht. In Pohlheim will Bürgermeister Andreas Ruck nun mit einem neuen Konzept einen würdigeren Rahmen des Gedenkens schaffen.
Der Gesangverein hat eigens für diesen Tag geprobt, doch nun sind mehr Sänger als Zuschauer da. Der Bürgermeister oder der Ortsvorsteher halten eine Rede, ein Kranz wird niedergelegt. Bestenfalls eine Handvoll Bürger ist auf den Friedhof gekommen, die meisten von ihnen deutlich über die 70 Jahre alt. So sieht vielerorts das Gedenken am Volkstrauertag aus.
In einer Zeit, in der sich viele nicht mehr mit dem Tod und der eigenen Endlichkeit auseinandersetzen wollen, scheint der Volkstrauertag ein sterbender Feiertag zu sein. Dabei ist er in bester Gesellschaft: Vor einigen Jahrzehnten wären im Rathaus und bei der Zeitung noch die Telefone heiß gelaufen, wenn vor dem Totensonntag die Weihnachtsbeleuchtung aufgehängt oder gar angeschaltet worden wäre. Heute interessiert das keinen mehr. Und selbst die Familien, die einen Angehörigen im vergangenen Jahr verloren haben, gehen nicht mehr zum Gottesdienst in die Kirche.
Den Volkstrauertag lehnen dagegen manche ab, da sie ihn mit der Heldenverehrung der Nationalsozialisten gleichsetzen - offensichtlich aus Unwissenheit. Im »Hessischen Feiertagsgesetz« wird dieser als »Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus und die Toten beider Weltkriege« definiert und für die Zeit Ende November festgelegt. Es geht um das Gedenken an die Opfer des Dritten Reichs, aber auch an die vielen Zivilisten, die in allen Völkern Europas starben, ebenso wie die Soldaten aller beteiligten Länder, auch die der Alliierten, die Deutschland von den Nazis befreiten.
Der organisatorische Aufwand ist enorm, die Resonanz vielerorts bescheiden. Das bestätigt auch Pohlheims Bürgermeister Andreas Ruck. Er zieht ein Heft aus der Schreibtischschublade, eine Handreichung des »Volksbundes« mit Musterprogramm für eine Trauerfeier für diesen Tag. Gesang, eine Gedenkrede und eine Kranzniederlegung sind darin vorgesehen, ein Programm für gut 45 Minuten.
»Letztes Jahr hatten wir den Fall, dass ein Chor erst im einen Ort vor zwei Zuschauern sang, um dann zur nächsten Gedenkfeier in den Nachbarort zu fahren«, erinnert sich Ruck. »Das war purer Stress für die Sänger.« Dort wartete dann wieder nur eine Handvoll Menschen.
Selbst die Ortsbeiräte oder die Stadtverordneten seien meist bei den Gedenkfeiern in ihren Heimatorten nicht anwesend, sagt Ruck. Chor, Pfarrer und Kommune würden viel in die Vorbereitung investieren und seien dann meist in der Überzahl verglichen mit den Besuchern.
Ruck will den Feiertag nicht ganz abschreiben, dazu sei das Thema zu wichtig und auch aktuell: »Es geht um die Trauer eines Volkes und die Toten aller Kriege und die Opfer des Nationalsozialismus.«
Zudem gebe es auch Orte, in denen die Veranstaltung noch funktioniert. In Holzheim etwa sei es für die Dorfgemeinschaft eine wichtige Veranstaltung, auch weil die Stolpersteininitiative an diesem Tag die Erinnerung an die vertriebenen und ermordeten jüdischen Mitbürger hochhalte. In Grüningen würden sich die Konfirmanden mit eigenen Texten einbringen, was auch dafür sorge, dass mehr junge Menschen dabei sind. Diese beiden Veranstaltungen stünden daher auch nicht zur Debatte.
Wenn andernorts aber jedoch kaum bis keine Leute am Gedenken teilnehmen, stelle sich die Frage, ob dies noch ein würdiger Rahmen sei. Ruck schlägt darum eine zentrale Gedenkfeier für Pohlheim vor. Diese könnte in einem Jahr in den nördlichen, im folgenden Jahr in den südlichen Stadtteilen stattfinden. Weiterhin würde an jedem Denkmal ein Kranz niedergelegt werden, dies stünde nicht zur Debatte. Jedoch würde man sich gemeinsam an einem Ort treffen, um die Trauer zu teilen.
In den kommenden Wochen will Ruck zu dem Vorschlag das Stimmungsbild aus den einzelnen Ortsbeiräten einholen. Auch würde er sich freuen, wenn sich Bürger mit Ideen einbringen würden oder zu den Gedenkveranstaltungen Beiträge vorbereiten möchten. »Das ist auch nichts für alle Zukunft in Stein Gemeißeltes«, sagt er. Wenn das Interesse an dem Feiertag wieder größer werde, könne auch in jedem Ort eine Veranstaltung wieder stattfinden. Derzeit sei dies jedoch nicht absehbar.