1. Gießener Allgemeine
  2. Kreis Gießen
  3. Pohlheim

Parlamentsrede mit juristischem Nachspiel

Erstellt:

Von: Stefan Schaal

Kommentare

srs-jung_300722_4c_1
Matthias Jung © Stefan Schaal

Pohlheim (srs). Es war eine Rede mit Nachwirkungen, die die Regeln des Pohlheimer Stadtparlaments ausgehebelt - und zudem ein juristisches Nachspiel ausgelöst hat.

Der CDU-Stadtverordnete Matthias Jung hat sich im Rahmen eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens unter dem Aktenzeichen 501 Js 9080/21 inzwischen bei vier Vertretern von SPD und Grünen entschuldigt. Außerdem hat er 500 Euro an den Verein SOS-Kinderdorf gezahlt. Durch Erfüllung dieser Auflagen entgeht Jung der Erhebung einer öffentlichen Anklage wegen übler Nachrede.

Die Stein des Anstoßes liegt inzwischen knapp zwei Jahre zurück: Unter dem Eindruck der Bürgermeisterwahl in Pohlheim und der deutlichen Niederlage des CDU-Amtsinhabers Udo Schöffmann wenige Tage zuvor trat Jung als Fraktionsvorsitzender der Christdemokraten im November 2020 ans Rednerpult und teilte in einer zehn Minuten langen Schimpftirade mit schweren Vorwürfen gegen Peter Alexander und Horst Biadala von der SPD sowie Eckart Hafemann und Reimar Stenzel von den Grünen aus.

Persönlich an Tür entschuldigt

Diese seien für Angriffe, diffamierende Äußerungen und Häme gegen Schöffmanns Familie im Bürgermeisterwahlkampf maßgeblich verantwortlich, sagte Jung, ohne allerdings Anhaltspunkte oder konkrete Beispiele für die Anschuldigungen zu nennen. Persönliche Angriffe gegen Schöffmanns Familie seien scharf zu verurteilen, sagte Jung. Er wurde immer lauter. Fraktionskollegen im Saal der Volkshalle klatschten Beifall. Dann erklärte Jung, die vier Stadtverordneten von SPD und Grünen »haben die Familie zum Abschuss freigegeben«.

Es war vor allem dieser Satz, der die vier angesprochenen Stadtverordneten zu einer Strafanzeige veranlasste. Thomas Hauburger, Sprecher der Staatsanwaltschaft Gießen, bestätigt auf Nachfrage dieser Zeitung, ohne Jungs Namen zu nennen, dass gegen einen Pohlheimer Stadtverordneten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der üblen Nachrede geführt worden sei.

Das Verfahren sei gemäß Paragraf 153 der Strafprozessordnung Anfang dieses Jahres eingestellt worden, erklärt Hauburger weiter, nach Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 500 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung und nach »einer erfolgten Entschuldigung«.

Unter diesen beiden Auflagen ist von der Erhebung einer öffentlichen Klage abgesehen worden. Jung erklärte sich demnach bereit, sich ernsthaft zu bemühen, »einen Ausgleich mit den Verletzten zu erreichen«.

Vor dem Hintergrund der Rede trat Jung zwei Monate später vom Vorsitz der CDU-Fraktion zurück. Eine Entschuldigung lehnte Jung längere Zeit ab. Obwohl seine Vorwürfe auch durch eine Tonaufnahme der Stadtparlamentssitzung eindeutig dokumentiert sind, schrieb Jung diese Zeitung damals in Reaktion auf die Berichterstattung an und erklärte, er habe keine Mandatsträger in einen ursächlichen Zusammenhang mit Vorkommnissen gegenüber der Familie Schöffmanns nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses gesetzt.

Auch habe er nicht zu einer Schimpftirade angesetzt, ergänzte Jung. »Sofern mein Vortrag Anlass für eine andere Sichtweise vermittelt haben sollte, war das nicht beabsichtigt«, erklärte Jung.

Für Unverständnis und Diskussionen im Pohlheimer Stadtparlament sorgte auch, dass Jung die Rede unter einem Tagesordnungspunkt hielt, bei dem eigentlich nur Anfragen zugelassen sind. Erst am Ende stellte er dem damaligen Stadtverordnetenvorsteher Prof. Helge Stadelmann nach zehn Minuten die Frage, ob dieser denn seine Einschätzung teile.

»Eine Pseudo-Frage«, kommentierte später der in der Rede angegangene Biadala. Dem damaligen Stadtverordnetenvorsteher warf er vor, bei dem Monolog Jungs nicht eingeschritten zu sein. Biadala, Alexander und Stenzel nutzten in der folgenden Parlamentssitzung ebenfalls den Tagesordnungspunkt der Anfragen, um Jung zu widersprechen - und beschädigten so wie zuvor Jung die Autorität Stadelmanns.

Die in der Rede angegangenen Stadtverordneten berichten, Jung habe Anfang des Jahres vor ihrer Tür gestanden und habe ein Entschuldigungsschreiben heruntergerattert. Der Vorfall sei für sie nach der Entschuldigung abgeschlossen. FOTO: SRS

Auch interessant

Kommentare