1. Gießener Allgemeine
  2. Kreis Gießen
  3. Pohlheim

»Karnevalistisches Tanzen ist Mannschaftssport« - Narren hoffen auf kommenden Winter

Erstellt:

Von: Patrick Dehnhardt

Kommentare

_211021_2_4c
Aushängeschild der Limesstadt: 2016 tanzte die »Mollys«-Garde beim Hessischen Rundfunk in Rödermark. ARCHIVFOTO: PAD © Patrick Dehnhardt

Die Mollys in Pohlheim werden 66, der CC Bellersheim 44. Doch die Narren haben derzeit wenig zu lachen, da aufgrund der Pandemie Prunksitzungen und Umzüge ausfallen.

Karneval in Bellersheim bedeutet eigentlich über einen Monat Ausnahmezustand. Kein Wochenende, an dem nicht eine Sitzung im Bürgerhaus über die Bühne gehen würde. Der Umzug am Fastnachtsdienstag ist ein Besuchermagnet. Und gerade dieses Jahr, wo der Carnevals-Club 44 Jahre alt wird, hätte man bestimmt noch eine Schippe drauf gelegt.

Doch die Jubiläumskampagne fällt ins Wasser. Die Sitzungen aller Ortsvereine sind abgesagt. Unbeschwertes Feiern, Lachen und Schunkeln wäre einfach nicht möglich gewesen. Auch der Umzug an Fastnachtsdienstag ist gestrichen. Eine publikumsträchtige Veranstaltung und die Omikron-Variante passen für den CCB nicht zusammen. »Der Wille war da«, sagt Vorsitzender Torsten Müller. »Aber es 50 Prozent Gesetzeslage und 50 Prozent Vernunft, es abzusagen.«

Markus Braun, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Mittelrheinischer Karneval Bezirk 7, freut sich über die Vernunft der im Verband organisierten Vereine. Dem Vollblutfastnachter schmerzt zwar das Herz, dass 2022 erneut keine Umzüge rollen und die Narrhallas verwaist bleiben: »Da ist eine generelle Traurigkeit.« Aber wenn er sich Bilder aus Nordrhein-Westfalen anschaut, wo Sitzungen ohne Maske stattfinden, fehlt ihm das Verständnis. So etwas sei nur Wasser auf die Mühlen der Karnevalshasser. »Da hätte man lieber noch ein Jahr aussetzen sollen.«

Thomas Schäfer ist seit 44 Jahren beim CCB dabei, hat jedes Jahr Fasching gefeiert. Da fehle nun einfach etwas. Besonders der Kontakt zu den Bekannten, die man bei überörtlichen Veranstaltungen nur im Karneval trifft, leide. »Man sieht die Leute nicht mehr.« Er hofft auf das kommende Jahr.

Ganz ohne Karneval geht der Februar aber doch nicht nicht vorüber, sagt IMK-Vorsitzender Braun. Zwar hätten die meisten Vereine eine komplette Pause eingelegt. Manche hätten aber auch Online-Sitzungen auf die Beine gestellt, beispielsweise die »Mollys« aus Pohlheim, die dieses Jahr 66 Jahre alt werden.

Mollys-Vorsitzender Sven Haase sagt, dass man sich sehr früh für diesen Weg entschieden habe. Denn eine große Prunksitzung sei unter Corona-Bedingungen einfach nicht möglich. Dies beginne allein schon bei den Rahmenkosten einer normalen Sitzung, die von der Technik über Livemusik bis hin zu Dekoration und Catering reichen. Hinzu kommen die vielen ehrenamtlichen Stunden für Auf- und Abbau.

»Wenn die Prunksitzung der Molly’s gut besucht ist, dann sind es zirka 450 zahlende Gäste«, rechnet Haase vor. Dürfte man die Halle nur halb und mit Abstand besetzen, leide die Stimmung. »Von 50 Prozent der Einnahmen bei gleichen Kosten mal ganz abgesehen.« Und selbst die müssen erst einmal kommen: »Sind die Menschen überhaupt schon wieder bereit bei so vielen Unbekannten sich unter das Volk zu mischen und Karneval zu feiern?«, fragt Haase.

Der Mollys-Vorsitzende erinnert daran, dass Karneval noch mehr als nur Schunkeln und Büttenreden ist. Die Mollys waren vor Covid-19 in Sachen Showtanz eine Bank. Über 100 aktive Tänzerinnen und Tänzer in vier Leistungsstufen zählt der Verein.

»Allein in der Kampagne 2019/20 qualifizierten sich drei Mariechen, die Juniorengarde und der Schautanz der Ü15 für die Norddeutsche Meisterschaft als Vorstufe zur Deutschen Meisterschaft«, sagt Haase. Doch die Träume platzten, die Turniere fielen der Pandemie zum Opfer. Seit Jahren fehlt den karnevalistischen Sportlern die Möglichkeit zum Vergleich.

»Zwei Jahre ohne Training ist tödlich«, sagt Braun. Er hofft, dass in der Kampagne 2022/2023 zumindest der sportliche Bereich wieder möglich wird. »Der karnevalistische Tanz ist auch ein Mannschaftssport.«

Beim CCB in Bellersheim sieht man zudem das Problem, dass die jüngsten Tanzgruppen mittlerweile aus ihrer Altersklasse herauswachsen, ohne das Nachwuchs nachrückt, Mangels Trainingsmöglichkeiten könne man diese Lücke nur schwer schließen.

IMK-Vorsitzender Braun berichtet, dass viele Vereinsvorstände in Sorge sind: »Es besteht eine Angst, dass die früheren Zeiten nicht mehr zurückkommen.« Dass die Menschen nur noch schwer vom Sofa zu locken sind. Dieses Risiko sieht aus Haase: »Es ging jetzt zwei Kampagnen ohne Karneval und Fasching. Vielen fehlte es an sinnvoller Freizeitbeschäftigung in ihrem Verein.«

Wäre es eine Option, den Karneval in den Sommer zu verlegen, wo die Inzidenzen sowohl 2020 als auch 2021 niedrig waren? Braun schüttelt den Kopf: »Wir haben Weihnachten ja auch nicht in den August verlegt, Das gehört einfach in die Jahreszeit zwischen 11.11. und Aschermittwoch.« Seine große Hoffnung ist, dass im kommenden Winter die Lage im Griff ist und »man sich aus den Corona-Stoffmasken ein Lumpenkostüm nähen kann«.

Auch der CCB will seine Prunksitzung nicht nachholen - aber zumindest das Jubiläum mit einem Kirmeswochenende vom 19. bis 21. August feiern. Am Freitag soll die Kölner Band »Hey Kölle« für närrisch Stimmung beim karnevalistischen Kommersabend sorgen, am Samstag dürfen sich die Besucher mit Lederhose oder Dirndl verkleiden und auf die »Almrocker« freuen. Mit einem Festzug soll das Wochenende dann enden.

Auch interessant

Kommentare