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Eine Macherin wird 90

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Von: Stefan Schaal

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Ihren runden Geburtstag wird Gerda Häuser am heutigen Freitag im Gasthaus »Zur Krone« in Watzenborn-Steinberg feiern. »Wer mir gratulieren will, kann zwischen 10 und 12 Uhr vorbeikommen«, sagt sie. © Stefan Schaal

In der Faschingszeit erhält sie bevorzugt in der ersten Reihe Platz - wegen ihres ansteckenden, den gesamten Saal mitreißenden Lachens. Bekannt ist Gerda Häuser in Watzenborn-Steinberg aber vor allem durch ihr Wirken im Familienunternehmen Auto-Häuser, viele Jahre als Geschäftsführerin. Seit 75 Jahren bringt sie sich in dem Betrieb ein, sie erledigt weiterhin die Ablage.

Am heutigen Freitag feiert sie ihren 90. Geburtstag.

Gerda Häuser hat ein altes Dokument auf den Wohnzimmertisch gelegt. Es ist ein Lehrvertrag zur Kauffrau, geschlossen zwischen ihr und ihrem Vater Karl Häuser, zum 1. April 1948. Sie lacht auf, als sie eine in dem Vertrag vermerkte Zahl sieht: 25 Mark als Gehalt im ersten Lehrjahr. »Ich weiß noch, was ich mir mit dem ersten Geld gekauft habe«, erzählt sie. »Einen Bettbezug mit einem Muster aus lilafarbenen Blümchen.«

75 Jahre ist das Papier nun alt. Und ein Detail im Vertrag macht den bemerkenswerten Wandel deutlich, den das Unternehmen vollzogen hat. Gerda Häusers damaliger Wohnort und die Arbeitsstelle weisen in dem Dokument dieselbe Adresse in der Gießener Straße in Watzenborn-Steinberg auf. Ihr Vater führte damals im Hinterhof des Wohnhauses eine kleine Werkstatt sowie ein Fahrrad- und Motorradgeschäft und betrieb außerdem eine Tankstelle. Später, ab Ende der 50er Jahre, war es maßgeblich Gerda Häuser, die gemeinsam mit ihrem Mann Reinhold aus dem Betrieb ein großes Autohaus aufgebaut hat, das heute 110 Menschen beschäftigt und mittlerweile in vierter Generation geleitet wird.

Zwar genießt Gerda Häuser mit ihrem Mann längst den Ruhestand, am heutigen Freitag feiert sie ihren 90. Geburtstag. Im Unternehmen bringt sie sich indes weiterhin ein, ununterbrochen seit 75 Jahren. Noch heute erledigt sie die Ablage.

Ihren runden Geburtstag wird sie heute im Gasthaus »Zur Krone« feiern. »Wer mir gratulieren will, kann zwischen 10 und 12 Uhr vorbeikommen«, sagt sie. Der Tag wird gleichzeitig von Erinnerungen geprägt sein. »Mein Vater war für mich wie ein Kumpel«, sagt Gerda Häuser, als sie den 75 Jahre alten Lehrvertrag noch einmal in die Hand nimmt. »Er war lustig. Aber auch bestimmt.« Er habe ihr damals gesagt, sie solle ein Jahr lang die Handelsschule besuchen. »›Und dann hast du bei mir die Rechnungen zu schreiben und die Buchführung zu machen‹, hat er erklärt.« Den Wunsch nach einem anderen Beruf habe sie nie gehabt.

Wer sich mit Gerda Häuser unterhält, wird es irgendwann hören: ihr helles Lachen, das stärker ist als jede Umarmung. »Der Kartenverkäufer beim Fasching«, erzählt sie, »hat immer gesagt: Die Gerda muss in die erste Reihe. Wenn die lacht, lacht der ganze Saal.«

Als Unternehmerin vereinte die Pohlheimerin indes Herzlichkeit immer auch mit Bestimmtheit und Kampfgeist. Häuser, von 1969 bis 1995 Geschäftsführerin des Autohauses, ist eine Macherin, die den Laden immer wieder zusammengehalten hat. »Ich war für die Finanzen zuständig und er für die Autos«, beschreibt sie die Rollenverteilung mit ihrem Mann Reinhold in der Leitung des Betriebs. Sie arbeiteten Seite an Seite, organisierten immer wieder räumliche Erweiterungen des Unternehmens. Getrennt waren sie in all den Jahrzehnten an keinem einzigen Tag.

Auch schwere Zeiten galt es zu überstehen. »Als 1969 mein Vater plötzlich gestorben ist, dachte ich, die Welt geht unter«, erzählt sie. Sie habe damals mit ihrem Mann von einem Tag auf den anderen die Leitung des Unternehmens angepackt, spontan gleichzeitig Nachbarn dafür gewonnen, die Betreuung ihrer Kinder zu übernehmen. »Wir haben uns irgendwie durchgeknäuelt.«

Bereits einige Jahre zuvor war das Durchhaltevermögen des Paars einmal schwer auf die Probe gestellt worden, als Reinhold Häuser 1961 kurz vor seiner Meisterprüfung schwer erkrankte. Sein Blinddarm platzte. Drei Monate litt er unter Schmerzen, Vorbereitungen für die Prüfungen waren kaum möglich. Seine Frau stand ihm zur Seite. Selbst wenn er durch die Prüfung rasseln sollte, sagte sie damals, »wir geben nicht auf«. Er legte die Prüfung gezeichnet von der Erkrankung ab - und bestand mit einer guten Note.

Im Umgang mit dem Personal setzen die Häusers bis heute auf Herzlichkeit. So treffen sich Gerda und Reinhold Häuser regelmäßig mit ehemaligen Mitarbeitern des Autohauses zu einem Stammtisch unter dem Titel »Die Gebrauchten«.

Gegen Ende des Gesprächs am Wohnzimmertisch steht Gerda Häuser plötzlich auf. Sie wolle etwas zeigen, sagt sie. In einer Kammer kramt sie eine Einkaufstüte hervor. Sie zieht ein Stück Stoff aus der Tüte heraus. Eine Musterung ist zu erkennen: lilafarbene Blümchen. »Das ist der Bettbezug, den ich mir 1948 mit meinem ersten Gehalt in Gießen bei der Firma Zeller gekauft habe«, erzählt sie. »Er ist bis heute noch nicht genäht«, fügt sie dann hinzu. Das wolle sie jetzt aber nachholen. Sie habe den Stoff gewaschen. »Ich will ihn als Nächstes zur Schneiderin bringen.« 90 Jahre ist Gerda Häuser alt. Und hat noch einiges vor.

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