Düstere Aussichten

Pohlheim (rge). Der renommierte deutsche Historiker und Professor für die Geschichte Ostmitteleuropas an der Justus-Liebig-Universität, Dr. Hans-Jürgen Bömelburg, sieht wenig gute Szenarien für ein schnelles Ende des Krieges in der Ukraine. Er war Gast in der zweiten Auflage des Forums »Kopf und Herz«, das diesmal in der Christuskirche Watzenborn-Steinberg stattfand.
Die Sängerin und Kulturmanagerin Nidia Ortiz und Sozialwissenschaftler Harald Mantai als Organisatoren hatten die Ukraine in den Mittelpunkt ihrer Veranstaltung mit einer Mischung aus Musik, Kunst, Informationen und Talk gestellt. Es moderierte Haucke Burghardt
Chormusik mit den Modern Voices unter Leitung von Andreas Stein bildete den Einstieg. »You’ve got a friend« - »Du hast einen Freund« sang der Chor. Über diese Zeilen dürften sich die Ukrainerinnen unter den Zuhörern besonders gefreut haben. Darunter waren drei geflüchtete Frauen, die den Chor mit Stimme und Instrument begleiteten.
Nidia Ortiz sang begleitet von Hannelore Rau (Geige) und Horst Christill (Klavier) das »Amazing Grace«, das als Kirchenlied gegen Unterdrückung und Sklaverei berühmt wurde. Die ukrainische Tänzerin Nelli Syupyur spiegelte die Traditionen des osteuropäischen Landes mit Blumenkranz und typischer Tracht wider, deren Existenzrecht als Nation von Putin-Russland im aktuellen Angriffs- und Vernichtungskrieg bestritten wird.
Gründungsmitglied der UNO
Dass die Geschichte der Ukraine viel weiter greift als die Gegenwart, machte Bömelburg in seinem Vortrag zur »Geschichte der Ukraine« deutlich. »Entnazifizierung« und »Entukrainisierung« seien die Agenda in Worten und Taten, die russische Politiker in ihrer Agitation fordern und bei ihren Landsleuten alte Ängste schüren und damit den Krieg vorbereitet haben, so der Historiker mit Zitaten aus zugänglichen Medien in Russland.
Die Geschichte der Ukraine reiche allerdings bis in das Mittelalter zurück, informierte Bömelburg. Bereits im 16. Jahrhundert bildete sich eine eigene Nation, die sich auf die Kosaken stützte. Dies sei auf alten Kartografien festgehalten. Durch den Emser Erlass durch Zar Alexander II. wurde 1876 dann das Ukrainische in Schrift und Kunst verboten. Erst in der UdSSR bildete die Ukraine nach 1918 wieder eine eigene Republik, die erfolgreich in Industrie und Agrarwirtschaft mit einer starken Arbeiterbewegung war.
Nach dem deutschen Überfall 1941 wurde die Ukraine nach Ende des Zweiten Weltkrieges als eines der Gründerländer am 24. Oktober 1945 Mitglied der Vereinten Nationen (UNO), erinnerte der Historiker an eine vielfach vergessene Tatsache. Nach dem Zerfall der Sowjetunion hätten 1991 in einem Referendum 92 Prozent der ukrainischen Bürger für die Selbständigkeit votiert. Russland erkannte dies an.
Den aktuellen russischen Überfall auf die Ukraine bezeichnete Bömelburg als unverzeihlichen Präzedenzfall, der nun alles möglich mache. Die deutsche Wahrnehmung sei lange nur auf Russland ausgerichtet gewesen. Wie sich der Konflikt weiter entwickle, könne keiner genau sagen. Mögliche Szenarien seien ein über Jahrzehnte andauernder Krieg oder ein erzwungener Frieden und Waffenstillstand mit Revanchegedanken mit all seinen Folgen, wie langdauernde Energiekrisen auch für uns, skizzierte Bömelburg am Ende seines Vortrags.
Passend zur Situation in der Ukraine waren während des Abends eindrucksvolle Bilder der ukrainischen Fotografin Ksusha Fetisova aus Friedens- und Kriegszeiten zu sehen. Im direkten Vergleich zeigten sie das Grauen des Krieges für die Menschen umso deutlicher. Am Ende dieser zweiten Veranstaltung vom »Forum Kopf und Herz« wurden Spenden für die Ukraine-Hilfe gesammelt. FOTO: RGE