700 Unterschriften für Spazierweg

Ein 39 Hektar großes Gelände in der Lückebachaue zwischen Watzenborn-Steinberg und Leihgestern ist seit Mai 2017 ein Naturschutzgebiet. Anwohner kämpfen inzwischen fünf Jahre lang dafür, durch das Gebiet spazieren gehen zu dürfen. Nun haben sie eine Petition eingereicht.
Vor der schilfreichen Idylle steht am östlichen Rand Leihgesterns seit wenigen Tagen eine Holzschranke, sie versperrt den Zugang zu einem Trampelpfad. Schilder, die auf ein Betretungsverbot für das Naturschutzgebiet in der Lückebachaue zwischen Linden und Watzenborn-Steinberg hingewiesen haben, sind in der Vergangenheit immer wieder abmontiert worden. Zwei Dutzend Anwohner setzen sich in einer Bürgerinitiative (BI) dafür ein, weiter durch das Gebiet spazieren gehen zu dürfen. Ihr Kampfgeist scheint ungebrochen - seit nun inzwischen fünf Jahren.
Mitte Februar hat die BI »Lückebachaue« beim Landtag in Wiesbaden eine Petition abgegeben. Knapp 700 Unterschriften haben die Mitglieder gesammelt. Sie fordern einen Durchgang durch das Naturschutzgebiet, sie nennen fünf konkrete mögliche Wege. Auch einen langen Holzsteg über das Gebiet schlagen sie vor, »um dort keine Lebewesen zu stören und zu gefährden«, sie beklagen den Abriss einer Brücke in dem Gebiet im Oktober vergangenen Jahres.
»Wir erwarten, dass jemand herkommt und mit uns redet«, sagt Diana Mauritz, die der BI angehört. »Entscheidungen werden über die Köpfe der Anwohner hinweg getroffen, wir werden ignoriert. Das ärgert mich am meisten.«
Das Anliegen der Bürgerinitiative erscheint wenig aussichtsreich. Das 39 Hektar große Gebiet sei »nicht umsonst« unter Naturschutz gestellt worden, hat Regierungsvizepräsident Martin Rößler in der Vergangenheit betont. Neben einem sanft geschwungenen Bach gibt es in dem Areal mehrere Gewässer und Tümpel sowie Wiesen und Gehölze. Das mache das Gebiet zu einem wertvollen Lebensraum für seltene Pflanzenarten wie Sumpf-Sternmiere, Fuchs- und Blasen-Segge sowie seltene und geschützte Tierarten wie Blauflügel-Prachtlibelle, Bekassine, Kuckuck und Waldwasserläufer.
Das Areal wurde im Mai 2017 per Verordnung zunächst einstweilig und im Dezember 2020 dann dauerhaft als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Ziel sei, »das Areal so weit zu beruhigen, dass die im Schilf und in den Wiesen brütenden seltenen Vogelarten nicht mehr durch Spaziergänger und Hunde gestört werden«, erklärte das zuständige Regierungspräsidium Gießen. Es gebe keine naturverträgliche Möglichkeit, einen Durchgang einzurichten.
Dies stößt bei den Mitgliedern der Bürgerinitiative auf Unverständnis. Das Gelände sei eigentlich Ausgleichsfläche für das Gebiet »Neue Mitte« zum Zweck der Naherholung für die Menschen, sagt Cornelia John, die hier am westlichen Rand von Watzenborn-Steinberg seit knapp 20 Jahren wohnt. »Meine Kind ist in dem Gebiet im Winter früher Schlittschuh gelaufen«, erzählt sie.
Nahe der Stelle, wo nun die neue Holzschranke steht, hätten Kinder früher Kaulquappen beobachtet. »Wir werden hier komplett verjagt. Das ist unverhältnismäßig.« Viele Tierarten hätten sich doch dort angesiedelt, »obwohl das Gebiet durch Spaziergänger seit Jahrzehnten genutzt wird. Das Naherholungsbebiet wird den Menschen weggenommen«.
Ute Krug weist darauf hin, dass sich am Rand des Naturschutzgebiets Gewerbebetriebe befinden, die Lärm durch Lkw und Lichtverschmutzung auslösen. Zudem laufe immer wieder die Kanalisation über, das Areal werde dadurch regelmäßig überschwemmt und vermüllt. Irritierend sei für sie auch, dass in dem Gebiet Wiesen durch Landwirte gemäht und gegüllt werden dürfen. Spaziergänger mit angeleinten Hunden seien doch nicht der größte Störfaktor für die Vogelwelt, sagt sie.
Für die Ausweisung des Naturschutzgebiets, erklärt Thorsten Haas, ein Sprecher des Regierungspräsidiums, sei entscheidend, das Gebiet für die Vogelarten zu beruhigen »und den starken Besucherverkehr mit zahlreichen, teils frei laufenden Hunden aus dem Gebiet herauszuhalten.
Die Mitglieder der BI erklären, dass auf einer ihnen vorliegenden Artenkarte für das Gebiet 19 Vogelarten aufgeführt seien, vier davon außerhalb, und nach ihren Recherchen allesamt nicht gefährdet.
Haas widerspricht. Bei den 19 Vogelarten aus der Artenkarte handelt es sich um Vögel, die im Jahr der Bestandsaufnahme dort sicher als Brutvögel lokalisiert werden konnten. »Von diesen sind entgegen der Behauptung der Anwohner fast alle in der Roten Liste Hessens als gefährdet oder stark gefährdet eingestuft oder stehen auf der Vorwarnliste.« Der Sprecher nennt beispielsweise Bluthänfling, Feldlerche, Gartenrotschwanz, Goldammer, Teichrohrsänger und Wasserralle.
In einem Gutachten aus dem Jahr 2018 seien insgesamt 69 Vogelarten in dem Naturschutzgebiet nachgewiesen, davon 27 Arten als Brutvögel. Eine große Bedeutung habe das Areal als Rastgebiet im Winter für vom Aussterben bedrohte Arten wie Bekassine, Waldwasserläufer und Wiesenpieper, die auf dem Zug rasten und Ruhe brauchen, um Kraft zu sammeln. Dem Gutachten zufolge habe die Lückebachaue »eine hohe Bedeutung für den regionalen Brutvogelbestand des Kreises Gießen«.
Die BI kämpft derweil weiter. »Reden bringt nichts«, sagt John. Man erhalte zunehmend schnippische Antworten von den Behörden. »Dann wird man selbst sarkastisch.«