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»Organspende benötigt Aufklärung«

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Von: Nici Merz

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Für Prof. Dr. Choi ist die mangelnde Aufklärung über die Organspende, das Hauptproblem, weshalb sich Menschen davor fürchten und sich nicht damit beschäftigen. FOTO: NICI MERZ © Nicole Merz

Die Unterversorgung von Spenderorganen ist ein ernstes Problem - im vergangenen Jahr starben 86 Herzpatienten, da kein Spenderherz verfügbar war. Herzchirurg Prof. Choi aus Bad Nauheim sieht das Problem darin, dass nicht genug über die Organspende aufgeklärt wird.

Am heutigen Tag der Organspende geht es vor allem darum, auf die aktuell rund 8500 Menschen aufmerksam zu machen, die auf ein Spenderorgan warten. Von dieser Gesamtzahl warten über 700 Patienten auf ein neues Herz. Ein Teil dieser Herzpatienten werden an der Kerckhoff-Klinik in Bad Nauheim behandelt. Der Direktor der Herzchirurgie der Klinik, Prof. Dr. Yeong-Hoon Choi, sprach im Vorfeld des Organspendetages über die Probleme im Zusammenhang mit dem Organspendeausweis und wie sie gelöst werden können

Wie sieht die Entwicklung der Zahlen bei den Organspenderausweisen aus?

Das ist nicht so einfach zu beantworten, da die Ausweise nicht zentral registriert werden. Es gibt nur ungefähre Schätzungen. Meinem Gefühl nach ist die Anzahl der Ausweise aber eher rückläufig.

Und bei den Herztransplantationen?

Im Vergleich zu vor 20 Jahren sind die Zahlen deutlich rückläufig. 2017 waren wir auf einem absoluten Tiefpunkt. Mittlerweile haben sich die Zahlen wieder etwas erholt. Insgesamt besteht eine deutliche Diskrepanz zwischen der Anzahl der Patienten, die auf ein Herz warten und der Anzahl der durchgeführten Herztransplantation. Wir haben also in diesem Bereich eine deutliche Versorgungsknappheit.

Wie kann man die Menschen davon überzeugen, Spender zu werden?

Dies muss aus der eigenen Überzeugung der Menschen kommen. Wir alle, also die Mediziner, Politik und Presse, müssen Aufklärungsarbeit leisten, um den Menschen die Ängste zu nehmen, die mit dem Spenderausweis verbunden werden.

Wovor haben die Menschen Angst?

Wir hören oft, dass sich viele Menschen vor dem Missbrauch ihrer Organe fürchten. Diese Ängste gilt es ernstzunehmen und sich den Fragen der Menschen zu stellen. Wir müssen noch mehr vermitteln, dass Ärzte den Willen der Patienten und ihrer Angehörigen immer respektieren. Bis es zur Organspende kommt, sind sehr viele medizinische Untersuchungen durchzuführen, soso dass sichergestellt ist, dass ausschließlich nach den höchsten medizinischen und ethischen Regeln gehandelt und entschieden wird.

Ist das Thema Organspende ein Tabuthema in Deutschland?

Nein, das denke ich nicht, aber viele Menschen wollen sich einfach nicht mit dem Tod und was danach mit ihrem Körper geschieht beschäftigen. Die Leute verdrängen es lieber, obwohl sie nicht mal etwas dagegen hätten, Organspender zu sein.

Wie sinnvoll wäre für Sie eine Einführung der Widerspruchsregelung?

Ich bin ein Befürworter. Dann müssen sich die Menschen mit dem Thema beschäftigen. Aktuell machen sich es viele auch zu bequem und wollen sich nicht mit dem Sachverhalt der Organspende auseinandersetzen. Wenn sich eine Person im Rahmen der Widerspruchsregelung gegen eine Organspende entscheidet, wird eine solche Entscheidung natürlich akzeptiert.

Also muss die Politik eingreifen, um die Problematik zu lösen?

Die Politik muss der Initiator sein, aber sie braucht auch die Unterstützung der Medien. Ich würde mir wünschen, dass die Medien das Thema auch mal zur besten Sendezeit platzieren, um maximale Aufmerksamkeit zu generieren. Mit der Politik als Vorantreiber und den Medien als Partner kann viel bewirkt werden.

Sieht die Lage bei den Blutspenden ähnlich kritisch aus?

Da ist es nicht so akut, aber es kann nie genug Blutspenden geben. Gerade im Bereich der Herzchirurgie sind wir auf die Verfügbarkeit von Blutprodukten absolut angewiesen. Herzchirurgische Eingriffe können nur durchgeführt werden, wenn die Verfügbarkeit garantiert ist.

Wie wurden die Herztransplantation durch die Corona-Pandemie beeinflusst?

In den letzten beiden Jahren haben wir einen leichten Rückgang der Anzahl an Herztransplantationen beobachtet, was am ehesten durch die eingeschränkte Versorgungskapazität auch im Bereich der herzchirurgischen Kliniken verursacht wurde.

Welche Möglichkeiten gibt es, um präventiv zu verhindern, dass man irgendwann ein Spenderherz benötigt?

Da gibt es nichts Spezifisches oder Grundlegendes. Das Problem ist, dass sehr viele Erkrankungen in einer Herztransplantation münden können. Bei vielen Krankheiten können wir nicht genau bestimmen, warum sie solch eine ausgeprägte Herzschwäche auslösen. Aber Patienten, die ein hohes Risiko für Herzerkrankungen mit sich tragen, sollten im Rahmen der Prävention alle Mittel ergreifen, um das Risiko zu verringern.

Was bedeutet es eigentlich, eine Herzschwäche zu haben?

Das können sich die meisten gesunden Menschen gar nicht vorstellen. Die betroffenen Patienten haben ein so schwaches Herz, das auch die geringste Belastung zur absoluten Erschöpfung führt. Selbst sehr kurze Strecken führen zur körperlichen Erschöpfung bei diesem Patienten. So wird der gesamte Alltag durch die Herzschwäche bestimmt, und Patienten fragen sich bei jeden Weg, den sie machen: »Lohnt sich das?«

Was erhoffen Sie sich vom Tag der Organspende?

Ich erhoffe mir, durch verschiedene Aktionen und die Medienberichte, dass die Menschen auf das Thema aufmerksam gemacht werden und ihre Angst genommen wird. Wenn sich durch diesen Tag auch nur eine Person registriert, die dann später ein Organ spendet und einem anderen Menschen hilft, dann können wir das als kleinen Erfolg dieses Tages verzeichnen. Jeder einzelne zählt, um die Versorgung zu verbessern.

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