Ein Oberhesse in Oberbayern

Siegward Roth ist hierzulande vor allem bekannt als Lyrik-Kreativkopf der Mundart-Musik-Formation Fäägmeel. Zwei Jahrzehnte lang bespielte sie alle Bürgerhäuser Oberhessens, bevor sie 2005 mit einem Schiffenberg-Konzert vor etwa 5000 Besuchern einen Schlusspunkt setzte. Nun lässt der 68-Jährige mit dem Gedichtband »Lichtes Dunkel« aufhorchen.
So sehr die gewiss weit über 200 Konzerte der dreiköpfigen Mundart-Formation Fäägmeel vom raffinierten Witz lebten, vom nach vorn drängenden Rhythmus, von praller Lebensfreude auf den Bühnenbrettern, vom höheren Blödsinn und manchen Albernheiten. Neben dem feinen Gitarrenspiel von Berthold Schäfer, so darf man es in der Rückschau empfinden, waren es gerade die sensiblen Verse aus der Feder von Siegward Roth, die Akzente setzten, die hängen blieben. Erinnert sei an »Imwäje« oder auch »Eisblomme«, »Bont un narrich« oder das zärtliche »Junimoijend«.
Dank Fäägmeel war der (aussterbende) Dialekt der Oberhessen eben nicht reduziert auf dümmlich Derbes oder gemeine Einfältigkeiten. Roth und seine Mitstreiter - dritter im Bund war Walter Krombach aus Krofdorf - schafften es, in der eigentlich dafür nicht geschaffenen Sprache des kleinen Mannes ganz individuellen Gefühlen und verwunschenen Szenarien Ausdruck zu verleihen. Gepaart mit philosophischen Betrachtungen war’s die reine Freude und meist im besten Sinn gute, anregende Unterhaltung. Noch im Nachhinein sollte man den umtriebigen Akteuren dafür eine Verdienstmedaille ans Revers heften.
Nach dem Abschied von der Bühne blieb der ursprünglich aus Hohensolms stammende und seine Brötchen bei der Kriminalpolizei verdienende Roth seiner Passion treu - dem Schreiben.
Er kümmerte sich, wie ehedem, um Fäägmeel-Text- und Liederbücher (zuletzt der zweite Band: »E Geschicht fier sich«), schrieb »Knotterbock. Grondlejendes zoum mittelhessische Charakter o sich« und »Geschlechterzores. En Leitfoarrem fier mittelhessische Männer«, dann aber auch - hochdeutsch - das Sachbuch »Die Kriminalität der Braven« (1991) und den Kriminalroman »K-Wache« (2011).
Nun also »Lichtes Dunkel«. In diesem 84-seitigen Bändchen sind neuere Texte ebenso versammelt wie ältere, zum Teil vor Jahrzehnten verfasste Vierzeiler. »Hinzugenommen habe ich die Umdichtungen von Fäägmeel-Texten, die mir besonders am Herzen lagen«, sagte Roth jüngst im Gespräch mit dieser Zeitung. »Umdichtungen deshalb, weil dabei nicht nur die Unmöglichkeit von Eins-zu-eins-Übersetzungen zu bewältigen war, sondern auch die lebensgeschichtlichen Veränderungen, die ein schon recht langes Leben so mit sich bringen.« Im Grunde genommen habe er »das ausgewählt, was mir der Rede wert erschien und was aus meiner Sicht nicht mit dem leider absehbaren Verschwinden unserer Dialekte untergehen sollte«.
Unter den Überschriften Worte, Bilder, Lieder und Zeit betrachtet Siegward Roth Leben und Natur, Beziehungen und Gesellschaft, Raum und Zeit. »Sprache und Inhalt werden konzentriert, Überflüssiges beiseitegeschoben«, sagt sein Verlag. »Im inneren Dialog mit sich selbst begibt sich Roth dorthin, wo alles in ein lichtes Dunkel gehüllt ist - in den Echoraum der eigenen Subjektivität.«
Beispiel gefällig? »Lautlose Wucht« etwa beschreibt »Tanzen und springen im Mai, / wenn zum Himmel ein Lachen steigt, / wenn jauchzen, das kribbelt und treibt, / über die Felder zieht.« Und was ist bei ihm »Morgenglück«? Der Sonnenruf sei es, morgens um sechs. »Himmelweit - über Felder gelegt. Atemfrei! Ein Moment Glück.« Ganz am Ende »Weisheit«: »Er hatte die Gründe des Daseins studiert, / ein Fehlen von Wahrheit und Sinn konstatiert; / das Leben scherte sich nicht um ihn! / Und so hielt auch er es dann schließlich mit ihm.«
Viel Lob hat Roth für seinen Verlag übrig: Stroux sei ein kleines, aber quirliges Unternehmen, das es wage, sich in einem kulturell dicht besetzten Umfeld wie München zu Wort zu melden. »Die machen, was sie meinen, machen zu müssen.« Für ihn, den eigentlich Namenlosen in der Millionenstadt, ein Glücksfall; »zumal ich noch mit Lyrik daherkomme«.
Apropos München: Es ist tatsächlich so, dass der eingefleischte Oberhess in Oberbayern ein neues Zuhause gefunden hat. Mit seiner Freundin Monika wohnt er im olympischen Dorf, »links« von Milbertshofen und Schwabing. Mitten drin in einem Landstrich mit schon immer durchgängig vernehmbarem Idiom. Für ihn, den Bub aus dem hiesigen Hinterland, eine Herausforderung positiver Natur: »Wer wie ich Freude an Dialekten hat, kann in Bayern wie im Schlaraffenland umherlaufen.« Keine Sehnsucht nach der angestammten Heimat? Nun, hin und wieder bestreitet Roth mit seinem Weggefährten Berthold Schäfer Mundart-Abende mit Lesung und Musik. Des Hessen Herz im Bayerischen sagt: »Natürlich vermisse ich in Bayern die innige Nähe zu einigen Menschen in Hessen und den vertrauten Austausch mit ihnen. Daneben die stille Kargheit einiger Landstriche, die Einsamkeit unserer Wälder.«