Nur noch »Wohlfühltermine«

Friedrich-Wilhelm Reinhard hat seine »Grünberger Bücherstube« in neue Hände gegeben. Am Ende eines fast 40-jährigen Berufslebens zieht er Bilanz. Und schaut doch auch nach vorn: Trotz Online-Handel und E-Books sieht für er für kleine Läden mit ihrer Nähe zum Kunden eine Zukunft..
Dass Lebenswege oftmals von Glück und mehr oder weniger großen Zufällen bestimmt werden, kann Friedrich-Wilhelm Reinhard bestätigen. So wollte er nach dem Abi zunächst Fachbibliothekar werden. »Da verstaubst du, hast keinen Kontakt zu Menschen«, hatte ihn sein Onkel gewarnt, der seit den Siebzigern in Grünbergs Marktgasse einen Buchladen führte.
Der Neffe folgte dem Rat, machte in Braunschweig bei Graff eine Lehre: Er profitierte von einer fundierten Ausbildung, samt externen Lehrgängen von Rechnungswesen bis zur Literatur Russlands.
Zunächst half er im Geschäft des Onkels aus. 1987, nach dessen Tod, stellte sich ihm dann die Frage: Zuschließen oder übernehmen? Inzwischen gelernter Buchhändler, griff er zu. Eine dieser »glücklichen Fügungen«, wie der heute 59-Jährige resümiert. Seine Karriere als Geschäftsführer begann er mit »viel Enthusiasmus, aber wenig praktischer Erfahrung.« Kein leichter Anfang, ob der »schwierigen Bilanzen«. Der Onkel, Jahrgang 1922, war zwar sehr belesen - ein Kaufmann aber war er nicht. Also machte er sich daran, die Buchführung auf den Stand der Technik zu bringen. Früher als andere. Die Affinität zur digitalen Welt sollte später, als E-Commerce immer wichtiger wurde, von großem Nutzen sein.
Seinen Enthusiasmus beschränkte er nicht nur darauf, die geschäftlichen Abläufe insgesamt smarter, mithin rentabler zu machen. Reinhard strukturierte auch das Warenangebot neu und setzte vor allem seine Maxime um, nah am Kunden zu sein. Mit der Expertise eines Literaturkenners, aber auch mit Lesungen. Die erste fand 1988 statt: Gudrun Pausewang rezitierte aus ihrem Roman »Die Wolke«, in dem es um einen Störfall in einem AKW geht. »Am Ende herrschte eine gedrückte Stimmung, und ich dachte: Das fängt ja gut an.«
Doch dieser erste Eindruck täuschte, weitere Formate wie sein »Grünberger Bücherfrühling« machten das Geschäft in der Region bekannt. Gleiches bewirkten die Kooperationen, etwa mit dem Krimifestival .
Wesentlich für den Erfolg der Bücherstube war 2005 der Umzug in die größeren Räume der ehemaligen Druckerei Robert nebenan. Dort war Platz für die zeitgemäße »Frontalpräsentation« (Cover statt Buchrücken). Was kundenfreundlicher und ob der verminderten Kapitalbindung auch rentabler sei, erklärt Reinhard. Der zudem mit der Belieferung von Schulen neue Nachfrage generierte,
In Zeiten des Internets verlangt der Kunde die Ware »just in time«. Seine Affinität zur neuen Technik kam Reinhard hier zupass, bereits 2001 ging die erste Website viral. Ein Vorsprung, der sich auszahlte, gerade als er im Vorjahr mehrere Monate zusperren musste.
Die Pandemie, ist er jedoch überzeugt, spielte den Kleinen der Branche aber auch in die Hände. »Wir haben ein Stammpublikum, das hat uns über Wasser gehalten.« Und selbst der Online-Marktführer half: Amazon stoppte das Geschäft mit Büchern, da zu kleinteilig und unprofitabel. »Auch so eine unerwartete Chance, denn wir haben geliefert, gar neue Kunden gewonnen. Mit einer Ausnahme; bei vielen Kindern ging der Bezug zum Buch verloren.«
»Da war zunächst betretenes Schweigen«, kommt der Ruheständler auf die Stunde zu sprechen, als er sein Ausscheiden ankündigte. Tags darauf aber bekundete Anja Münscher, seit 22 Jahren seine Mitarbeiterin, ihr Interesse. Für Reinhard noch sei einer dieser Glücksfälle. »Es hat gepasst.«
Die Zahl der Buchläden hierzulande ist von 6000 im Jahr 2014 auf jetzt rund 4500 zurückgegangen, mithin wird der Anteil am Kuchen größer. Um den Laden in Grünberg macht sich Reinhard ohnedies keine Sorgen. »Das Feld ist bereitet, keine Kröten sind versteckt, die Bilanzen gut.«
Und das werde so bleiben, dank des professionellen Online-Segments, vor allem dank der Nähe zu Kunden, der hoch stehenden Kuratierung, dem passenden Sortiment. Auf dem Land, überrascht da der »Neu-Privatiers«, müsse das anders ausgestaltet sein als in der Stadt. »Bücher über Katzen gehen in Gießen, aber nicht in Grünberg.« Und natürlich gebe es die Belletristik, die überall stark nachgefragt werde; mit dem Sachbuch indes sei nirgends etwas zu verdienen.
Angst vor digitalen Angeboten habe er nicht, sagt Reinhard. Und erinnert an die Fehleinschätzung, das Taschenbuch werde das gebundene Buch verdrängen. Gerade in Krisen gönne man sich ein gut gemachtes Buch, einen teuren Bildband. »Urlaub im Kopf statt in echt.« Keine Gefahr sieht er ebenso im E-Book, angesichts des einstelligen Prozentanteils am Gesamtumsatz der Branche. Zumindest in Deutschland mit seinem engen Ladennetz, in den USA sehe es anders aus.
Bleibt die Frage nach den Zukunftsplänen: Reinhard will dem Vorbild Merkels folgen, nur noch »Wohlfühltermine« wahrnehmen. Will seinen Hobbys, vor allem der Fotografie, frönen und »vertiefend lesen«. Noch vertiefender als bisher, möchte man meinen, sofern denn bei einem Buchhändler mit Leib und Seele eine Steigerung möglich wäre.