1. Gießener Allgemeine
  2. Kreis Gießen

Noch viele offene Fragen

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Stefan Schaal

Kommentare

srs-hallenbad1_230722_4c
Hier, neben dem Hallenbad in Watzenborn-Steinberg, sollen zeitnah Unterkünfte für Flüchtlinge entstehen. © Stefan Schaal

In Watzenborn-Steinberg soll neben dem Hallenbad eine Unterkunft für Flüchtlinge entstehen. Im Pohl-heimer Stadtparlament wurden mehrere Bedenken laut. Deutlich wurde allerdings auch, wie sehr Pohlheim bei der Bereitstellung von Unterkünften im kreisweiten Vergleich hinterherhinkt.

Eher selten meldet sich Uwe Happel im Pohlheimer Parlament zu Wort. Am Donnerstag aber trat der SPD-Stadtverordnete ans Rednerpult, brachte Klarheit in eine noch von vielen Vagheiten geprägte Diskussion - und machte anhand von Zahlen deutlich, wie sehr Pohlheim, die nach Gießen bevölkerungsreichste Stadt im Kreisgebiet, bei der Unterbringung von Flüchtlingen noch hinterherhinkt.

Die Stadt Pohlheim mit ihren rund 18 000 Einwohnern verfügt demnach aktuell über 19 Gemeinschaftsunterkunftsplätze. Zum Vergleich: Staufenberg beispielsweise mit 8000 Einwohnern bietet 160 Plätze, in der 10 000 Einwohner zählenden Stadt Laubach sind es 200. Endlich habe Pohlheim die Gelegenheit, mit einer »humanitären Entscheidung« das Angebot auszuweiten und die Hilfe für Flüchtlinge zu stärken, sagte Happel.

Weil im Landkreis zeitnah weitere Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge benötigt werden, soll Pohlheim neben drei weiteren Kommunen je eine Fläche zur Verfügung stellen, auf der Wohnmodule in Holzständerbauweise errichtet werden können. Die Flüchtlingsunterbringung soll in Watzenborn-Steinberg neben dem Hallenbad auf dem Gelände der ehemaligen Minigolf-Anlage entstehen.

Das Projekt hat nach den derzeitigen Planungen eine Laufzeit von drei bis acht Jahren. Anschließend soll der Wohnkomplex in einen Campus für Auszubildende im handwerklichen Bereich umgewandelt werden.

Die Baukosten belaufen sich auf rund vier Millionen Euro. Diese sollen vom Landkreis gestemmt werden. Nach Ablauf der Nutzung des Campus als Flüchtlingsunterbringung soll die Kommune einen Restbuchwert bezahlen, um das Objekt zu übernehmen.

Mehrere Fraktionen äußerten am Donnerstag Bedenken zu der gewählten Fläche und zur geplanten Nachfolgenutzung. Eine Vorentscheidung für den Standort ist indes gefallen: Mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP - bei Enthaltung von CDU und Freien Wählern - hat sich am Donnerstag eine Mehrheit dafür ausgesprochen, das Areal dem Landkreis für die Errichtung »für weitere detaillierte Planungen und Ausschreibungen« bereitzustellen. Weitere vertragliche Regelungen zwischen der Stadt und dem Landkreis, wie die Vertragslaufzeit und die spätere Ablösesumme des Gebäudes, seien mit dem Landkreis zu verhandeln und nach den Sommerferien dem Pohlheimer Haupt- und Finanzausschuss sowie dem Parlament vor Abschluss zur Endabstimmung vorzulegen.

Bedenken äußerten zunächst die Grünen. Der Fraktionsvorsitzende Simon Hafemann wies auf einen »wertvollen Baumbestand« auf dem Gelände hin. Dieser solle möglichst erhalten werden.

Reiner Leidich von der CDU-Fraktion beklagte derweil, dass zu dem Vorhaben bisher nur wenig Konkretes genannt worden sei. »Ich hätte gerne mal einen Plan des Grundstücks von oben gesehen, um zu wissen, an welcher Stelle welches Gebäude in welcher Größe vorgesehen ist«, sagte Leidich. Auch über Versorgungswege und Parkfläche gebe es noch keine Informationen. Leidich bekräftigte seine Skepsis, ob der inzwischen bewaldete Standort geeignet ist. »Was bleibt denn am Ende von der grünen Lunge übrig?«

Prof. Helge Stadelmann (CDU) stellte die Frage, ob eine spätere Unterbringung von Azubis auf dem Gelände im Sinne der Stadt sei. Räumlichkeiten brauche man möglicherweise eher für die Stadtverwaltung oder für eine Kita. Es gebe zu viele offene Fragen, das Risiko sei für eine Befürwortung zu groß, sagte Samuel Gergin von der CDU-Fraktion. Zu den Kosten stünden im Vertrag mit dem Landkreis keine Obergrenzen. »Wenn wir wenigstens eine Bleistiftskizze hätten. Da ist so wenig Konkretheit. Es wäre töricht, zuzustimmen.«

Es sei unstrittig, »dass wir Flüchtlingen helfen müssen«, erklärte - wie die Stadtverordneten zuvor - Andreas Schuch von den Freien Wählern. »Strittig ist aber der Standort und die Ausführungsweise. Das ist recht nebulös.«

Der SPD-Stadtverordnete Happel, der beruflich für den Landkreis in der Stabsstelle Wirtschaftsförderung, Tourismus und Kreisentwicklung arbeitet, brachte derweil Licht ins Dunkel. Er betonte, dass das Vorhaben in einem sehr frühen Stadium sei. Der Kreistag hat den Projektauftrag beschlossen, erst im Anschluss folge die Ausschreibung. Konkretere Entwürfe gebe es daher noch gar nicht. »Wir beschließen im Stadtparlament erstmal nur, dass etwas geschehen soll, nicht das Wie.« Auch der Vertrag zwischen der Stadt und dem Landkreis werde später ausformuliert.

Flüchtlingen vor Ort ein Obdach zu bieten, sei nicht nur Aufgabe des Landkreises, sondern auch der Kommunen, betonte Happel. Zu den Bedenken, ob der Standort in Pohlheim später für einen Azubi-Campus geeignet ist, erklärte er, dieser werde im Landkreis »dringend gebraucht«. Ziel sei, den Berufsschulstandort zu stärken. Die Bäume auf dem Gelände könnten wahrscheinlich alle stehenbleiben, ergänzte Happel.

Pohlheim habe sich im Rahmen der Flüchtlingswelle 2015 nicht mit Ruhm bekleckert, sagte Prof. Ernst-Ulrich Huster von der SPD-Fraktion. Damals sei für Flüchtlinge lediglich in Hausen, und damit nicht gerade zentral, eine Unterkunft geschaffen worden. Der Vorteil des Standorts am Hallenbad sei die Nähe zu Bahn und Bus sowie zur Neuen Mitte und einem Ärztezentrum, auch ein Bolzplatz liegt nebenan. Es seien auch Überlegungen notwendig, wie man den sozialen Wohnungsbau in Pohlheim stärken kann. »Für Flüchtlinge haben wir gleichzeitig nicht nur eine rhetorische, sondern auch eine materielle Verpflichtung«, betonte Huster.

Auch interessant

Kommentare