Ausgefallenes neues Theater öffnet erstmals im Kreis Gießen: Promis wirken mit

In Buseck (Kreis Gießen) erlebt eine in Vergessenheit geratene Theaterform eine Renaissance. Bekannte Stimmen sind bei den Auftritten zu hören.
Buseck – Susanne und Stefan Schweig aus Großen-Buseck wollen eine traditionsreiche Art des Theaters wieder aufleben lassen: Sie haben ihr eigenes Papiertheater gegründet, das am Samstag (05.03.2022) erstmals öffnet. Dafür konnten sie auch Prominente begeistern.
Inmitten eines schwarzen Vorhangs ist die kleine Bühne, etwa in der Größe eines Fernsehers, hell erleuchtet. Die filigrane Kulisse zeigt auf mehreren Ebenen hintereinander einen märchenhaften Palast. Kleine Figuren werden hereingeschoben, dazu sind orientalische Klänge zu hören, der Muezzin ruft. Unter anderem tritt ein Großwesir auf - mit deutlich hessischem Einschlag in der Stimme.
Viel zu tun im neuen Theater in Großen-Buseck (Kreis Gießen): Bisher nur der Anfang
Während die Anfangsszene von Wilhelm Hauffs Märchen »Kalif Storch« in Bann zieht, haben jenseits des Vorhangs Stefan und Susanne Schweig alle Hände voll zu tun. Sie kümmern sich um die passende Akustik und Beleuchtung, lassen die Figuren zum richtigen Zeitpunkt auftreten und sich bewegen. Teils nutzen sie Reproduktionen historischer Figuren- und Kulissenbögen, teils schaffen sie diese selbst. Das Paar hat über viele Monate ungezählte Stunden und einiges an Erspartem in ihr kleines Papiertheater in Großen-Buseck gesteckt. Am Samstag feiert ihre »Kleine Auszeit« Premiere - und das soll nur der Anfang sein.
»Ich war von klein auf von Märchen fasziniert«, sagt Susanne Schweig. Sie habe auch ihren inzwischen erwachsenen Kindern oft Märchen vorgetragen, ebenso auf Mittelaltermärkten und im Job als Erzieherin. »Aber ich stehe ungern im Mittelpunkt« - da sei Papiertheater eine perfekte Alternative, weil sich die Aufmerksamkeit auf die Figuren richte. Vor einigen Jahren habe sie diese Darbietungsform erstmals in einem Spielzeugmuseum gesehen, »ich kannte es bis dahin gar nicht«.
Neues Theater im Kreis Gießen: Aufführungen im Café Albert in Buseck
Die Idee, selbst ein Papiertheater zu gründen, sei in den vergangenen Jahren konkreter geworden: Das Paar hat sich 2019 kennengelernt, während Corona geheiratet. Vergangenen Sommer wollten sie dann eine Feier mit beiden Familien nachholen, diese in Kontakt bringen. Dafür haben sie sich eine Art Märchen überlegt, mit einer Kiste ein erstes kleines Theater gebaut. »Das kam sehr gut an«, sagt sie. Schließlich habe er online ein Papiertheater gefunden, erzählt ihr Mann. »Ein Nachbau von circa 1980, die ganz alten kann man nicht bezahlen.« Dann verfolgten sie ihre Idee weiter.
Doch es blieb eine Frage: Wo sollen ihre Aufführungen stattfinden? Die Schweigs hörten sich im Ort um - letztlich mit Erfolg: Mit den Besitzern des früheren »Café Albert« in der Bismarckstraße sei man sich einig geworden, der Mietvertrag laufe erst einmal für ein halbes Jahr. Dort haben sie in einem früheren Gastraum ihre Bühne aufgebaut und etwa 25 Stühle für das Publikum gestellt.
Kreis Gießen: Prominente Unterstützung beim neuen Theater in Buseck
Neben der Kulisse und den Inhalten lebt das Papiertheater auch von den Stimmen - und die dürften im Fall von »Kalif Storch« in der Großen-Busecker Version vielen bekannt sein: »Wir saßen vor dem Fernseher und haben ›Tobis Städtetrip‹ im HR geguckt, da habe ich zu Susanne gesagt: Die Stimme von Tobias Kämmerer würde gut passen!«, blickt Stefan Schweig zurück.
Er habe über den Sender angefragt - und der bekannte Moderator tatsächlich zugesagt, dem Krämer im Stück seine Stimme geliehen. Damit nicht genug: »Den Großwesir spricht Henni Nachtsheim von Badesalz«, sagt Susanne Schweig. Ihr Mann ergänzt, er habe das hessische Original einfach mal angeschrieben, nicht wirklich mit einer Zusage gerechnet. Doch Nachtsheim habe sich schnell zurückgemeldet. »Er meinte, das sei eine tolle Idee, er kenne Papiertheater gar nicht - ›gar kein Problem‹. Er hat es toll gemacht, sogar mehrere Varianten eingesprochen.« Die Prominenten hätten auch keine Gage haben wollen.
Auch Alice Hoffmann, bekannt vor allem aus der Fernsehserie »Familie Heinz Becker«, konnten die beiden für ihr besonderes Projekt gewinnen. Sie spricht nun unter anderem die Störche - für den Saarländer Stefan Schweig und seine Frau, die aus der Pfalz stammt, eine besondere Ehre. Doch auch Stimmen aus dem Freundeskreis seien eingebunden. Als Hörspiele haben die Schweigs dann in einem Tonstudio die akustische Kulisse samt Stimmen für ihre Aufführungen geschaffen.
Papiertheater in Vergessenheit geraten: Kulturerbe erlebt auch im Kreis Gießen Renaissance
Das Papiertheater sei in Deutschland vor gut 200 Jahren entwickelt worden - auch, um eine Form des Theaters in die Wohnzimmer zu bringen und damit breiteren Schichten zu öffnen, sagt Susanne Schweig. »Irgendwann ist es dann in Vergessenheit geraten«, berichtet ihr Mann, heute sei Dänemark eine Hochburg. Deutschlandweit gebe es etwa ein Dutzend Papiertheater-Bühnen. Seit den 1980ern erfahre dieses Kulturgut eine Renaissance - und wurde 2021 in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen.
Was fasziniert die beiden an dieser Form des Erzählens von Geschichten? »Das Gehirn wird unheimlich gefordert, man muss sich viele Bewegungen denken«, sagt sie. »Man braucht Phantasie, es gibt Hirnforschung dazu, wonach viele Zentren angesprochen werden.« Das Paar hat sich unter anderem bei einem Papiertheater-Festival in München inspirieren lassen. »Da bin ich völlig eingetaucht«, schwärmt sie. »Mit Papiertheater ist Achtsamkeit ganz einfach - ein ruhiges Geschehen auf der Bühne, das aber nicht langweilig ist.«
Papiertheater „Kleine Auszeit“ in Buseck: Spannung vor Premiere steigt
Ihr Mann findet, gerade in dieser schnelllebigen Zeit biete es »einen Ruhepol, eine kleine Auszeit« - daher rührt auch der Titel ihres Kulturangebots. Die Schweigs wollen sich damit an Publikum aller Altersgruppen richten - und auch dazu beitragen, dass Märchen erhalten bleiben.
Neben »Kalif Storch« ist auch ein zweites Stück schon produziert: »Falsche Töne in Musikalien«, ein selbstgeschriebenes Märchen samt Mitmach-Momenten für das Publikum, wie die beiden ankündigen. Zwei weitere Produktionen sind schon in Planung, die Schweigs haben sich viel vorgenommen.
Sie wollen mit ihrer Begeisterung für das Papiertheater andere anstecken. Der Bekanntenkreis sei schon »Feuer und Flamme«, sagt Stefan Schweig, im Ort könnten sich manche aber wohl noch nicht allzu viel darunter vorstellen. Sie hoffen auf wachsendes Interesse und Mund-zu-Mund-Propaganda. »Wir wollen damit nicht reich werden, sondern machen es aus Spaß«, betont er. Nun steige die Aufregung, bevor sich der Vorhang der kleinen Bühne erstmals vor Publikum öffnet. (Jonas Wissner)