1. Gießener Allgemeine
  2. Kreis Gießen

Neue Kriterien und neue Fragen

Erstellt:

Von: Jonas Wissner

Kommentare

jwr_Kreisneu-B_150553_4c_1
RHI Magnesita hofft auf eine Reaktivierung des Mainzlarer Werksanschlusses bis Anfang 2024, die Gespräche darüber laufen. Welche konkreten Folgen das für die gesamte Lumdatalbahn hätte, bleibt unterm Strich aber derzeit offen. ARCHIV © Volker Heller

Was tut sich aktuell in Sachen Lumdatalbahn-Reaktivierung? Kürzlich hat der Bund neue Bewertungsgrundlagen für ÖPNV-Projekte vorgestellt, die bei Befürwortern Hoffnung wecken. Zugleich scheint die Anbindung des Mainzlarer RHI-Werks greifbar - das könnte sich positiv auf die Reststrecke auswirken.

Eine wichtige Weichenstellung ist erfolgt - doch wohin sie am Ende führt, bleibt vorerst unklar. So lässt sich der aktuelle Stand in Sachen Lumdatalbahn umschreiben. Anfang Juli hat das Bundesverkehrsministerium die lange erwarteten neuen Kriterien für Nutzen-Kosten-Rechnungen von ÖPNV-Projekten im Kontext des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetztes veröffentlicht. Bei der Bewertung, die für die Förderfähigkeit zentral ist, werden nun etwa auch Nachhaltigkeit, Energieeffizienz und Daseinsvorsorge stärker berücksichtigt. Auch die Lumdatalbahn von Lollar bis Londorf war dafür als ein Modellprojekt im Fokus - und ihre Befürworter hoffen, dass die neuen Kriterien sich positiv auswirken.

Doch die Lage bleibt, wie seit Jahren, kompliziert, das zeigen nun Auskünfte von mehreren Akteuren. Aus der Pressestelle des Hessischen Wirtschaftsministeriums heißt es, man begrüße die neuen Kriterien »selbstverständlich«. Das Land habe sich »intensiv« dafür eingesetzt. Unter anderem deshalb, weil CO2-Einsparungen sich bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung niederschlagen müssten und es auch wirtschaftlich möglich sein müsse, »Menschen außerhalb der großen Ballungsräume attraktive Angebote im Öffentlichen Nahverkehr zu machen«, wie Wirtschafts- und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir kürzlich betonte.

Was aber bedeutet die novellierte Bewertungsgrundlage konkret für die Lumdatalbahn? Zum Projekt selbst könne man nur mitteilen, »dass es in Planung ist«, äußert sich das Ministerium auf GAZ-Anfrage recht schmallippig. Die Planung obliege dem Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) und dem Kreis Gießen beziehungsweise dessen Verkehrsgesellschaft, »das Land Hessen ist hier nur (Mit-)Förderer«. Hessen habe das Vorhaben bei der Bundesregierung »für eine Förderung mit Beginn 2025 angemeldet«, heißt es aus Wiesbaden weiter. Der tatsächliche Baubeginn hänge aber davon ab, »wie das Planungsverfahren verläuft und wie schnell der Planfeststellungsbeschluss bestandskräftig wird«. Klagen könnten »natürlich zu unabsehbaren Verzögerungen führen«.

Etwas konkreter fällt die Antwort des RMV aus: Die neue Verfahrensanleitung führe »in den bislang von den Gutachtern des Bundes vergleichend untersuchten Testfällen in der Regel zu einer Anhebung des Nutzen-Kosten-Indikators«. Liegt er über dem Grenzwert 1, dann steigen auch die Chancen auf eine Maximalförderung. Gleichwohl: »Für das konkrete Projekt Lumdatalbahn liegen dem RMV bislang keine Erkenntnisse vor, in welchem Umfang das neue Verfahren sich positiv auf das Untersuchungsergebnis auswirkt.«

Die »zuständigen Partner«, etwa der Kreis und das Hessische Verkehrsministerium, würden sich »verständigen, ob und wie die geänderten Bewertungskriterien auf Projekte Auswirkungen haben beziehungsweise welche nächsten Schritte anstehen«, teilt der RMV weiter mit. Angesichts der wirtschaftlichen Gesamtlage samt steigender Baupreise stellt sich auch die Frage, was eine Reaktivierung am Ende kosten würde. 2020 war das Land von 32,5 Mio. Euro an Infrastrukturkosten ausgegangen, inklusive eines Risiko-Puffers von 6,5 Mio. Euro.

Ob die bisherigen »Kostengrobschätzungen« ausreichen, werde sich »bei einer vertiefenden Planung zeigen«, so der RMV. Im neuen Verkehrsvertrag Wetterau West-Ost, der im Dezember beginne, habe man »die Möglichkeit zur Ergänzung der Lumdatalbahn in einer späteren Betriebsstufe vorsorglich berücksichtigt«. Dennoch könne man heute über den Zeitpunkt einer möglichen Reaktivierung noch keine Aussage treffen.

Wie wird der aktuelle Sachstand an der Kreis-Spitze bewertet? Das Land habe den Antrag auf Bewertung der Lumdatalbahn nach den neuen Kriterien gestellt, äußert sich Landrätin Anita Schneider. Ob und mit welchem Ergebnis dies durchgeführt wurde, »dazu hat der Landkreis noch keine offizielle Rückmeldung bekommen«. Mit Blick auf Beschlüsse sieht Schneider den Kreis derzeit nicht am Zug: Der Kreistag habe beschlossen, dass zunächst die Förderfähigkeit zu klären sei. Weitere Voten stünden erst an, wenn dazu »belastbare Aussagen« vorliegen.

»Wir sind sehr weit in der Planung«, sagt derweil Manfred Lotz, Vorsitzender des Vereins Lumdatalbahn. Die neuen Kriterien seien alles in allem »maßgeschneidert« für den ländlichen Raum. Und auch angesichts horrender Spritpreise merkten nun viele, »dass sie die Schiene brauchen«. Lotz: »Es ist jetzt Dynamik drin.« Doch die Reaktivierung sei noch nicht »in trockenen Tüchern«.

Positiv sei nun die Chance, dass das Mainzlarer Werk von RHI Magnesita bald wieder einen Gleisanschluss bis Lollar bekommen könnte. Das Unternehmen hat den Standorterhalt auch daran geknüpft, hofft nun auf die Politik. »Man kann es sich eigentlich nicht erlauben, es getrennt zu sehen«, sagt Lotz. Komme es Anfang 2024 zur Reaktivierung bis zum Werk, müsse man »dort weitermachen« - auch mit Blick auf die zeitlich begrenzte Förderkulisse.

Staufenbergs Bürgermeister Peter Gefeller und sie selbst unterstützten die »konstruktiven Gespräche« zwischen RHI und dem Land, betont die Landrätin. Für die dortige Reaktivierung spreche unter anderem, dass dies »auch positive Effekte auf den Kosten-Nutzen-Index der gesamten Lumdatalstrecke« haben könnte. Nun sei ein Betreiber zu finden und die Finanzierung zu gewährleisten, so Schneider - »aus meiner Sicht Herausforderungen, die gemeistert werden können«. Es seien »noch Detailfragen zu klären«, äußert sich das Wirtschaftsministerium dazu.

»Eigentlich müsste man uns ein Denkmal setzen«, meint Lotz. Denn wenn sich der Verein nicht um den Erhalt der Schienen gekümmert hätte, wäre eine rasche Wiederanbindung des Werks gar nicht möglich, findet er. Nun habe man gerade an die Stadt Staufenberg den Wunsch, »sich für uns starkzumachen«.

Auch interessant

Kommentare