Illegale Wohnsiedlung in Linden: Drängende Fragen an Bauaufsicht - Mehr Kontrollen gegen Schwarzbau

Der Landkreis Gießen kündigt an, verstärkt gegen illegale Bebauung im Außenbereich vorzugehen und schafft dafür eine neue Stelle. Dieser Schritt hänge nicht mit der illegalen Wohnsiedlung in Linden zusammen, erklärt ein Sprecher. Dennoch drängt sich eine Frage auf: Wie konnte die Siedlung am Bergwerkswald seit 2005 an der Bauaufsicht vorbei auf vier Ein- und Mehrfamilienhäuser anwachsen?
Im Vorgehen des Landkreises gegen eine illegale Wohnsiedlung in Linden an der Stadtgrenze zu Gießen greifen in wenigen Tagen folgenreiche Maßnahmen.
Das Ehepaar, das für die unrechtmäßige Errichtung von Gebäuden in der Straße Am Bergwerkswald maßgeblich verantwortlich ist, muss zum 1. Mai aus seinem Haus in der Siedlung ausziehen. Hintergrund ist ein Nutzungsverbot, das die Bauaufsicht des Landkreises ausgesprochen hat. Sabine Sommerlad, die Vorsitzende der Stiftung »Bei uns, für uns« (BuFu), der die Gebäude in der Siedlung gehören, und ihr Mann haben dort bisher in einem villenähnlichen Haus gelebt.
Illegale Wohnsiedlung in Linden: Derzeit Funkstille
Auf Nachfrage bei der Stiftung am gestrigen Mittwoch erklärte ein Mitarbeiter, in den kommenden Tagen werde man sich zur aktuellen Situation äußern. Im November vergangenen Jahres hatte sich die Stiftung noch lautstark mit Aufrufen und Bitten um Hilfe an Kommunalpolitiker, die Landesregierung und das Regierungspräsidium gewandt, ihr Appell hatte hohe Wellen geschlagen, mittlerweile ist es in dem Konflikt allerdings bemerkenswert still geworden.
Harald Liebermann, Lindens Erster Stadtrat und interimsweise Rathauschef, bestätigte am Mittwoch, dass in den Gesprächen um die Siedlung derzeit Funkstille herrsche. Anfang des Jahres hatte sich Liebermann mit Vertreten der Stiftung getroffen. Für die rund 60 Menschen, die zur Miete in der illegalen Siedlung leben, hatte er in Aussicht gestellt, in Linden in ein Haus am Breiten Weg nahe des Bahnübergangs ziehen zu können, wo Wohnungen entstehen. Der dortige Bauherr hatte dies angeboten. Von Seiten der Stiftung bleibe dazu aber eine Antwort bislang aus, berichtete Liebermann.
Die illegale Wohnsiedlung ist seit 2005 in einem als Gewerbefläche ausgewiesenen Gebiet errichtet worden. Stück für Stück ist sie von ursprünglich einem zu vier Mehr- und Einfamilienhäusern angewachsen.
Illegale Wohnsiedlung in Linden: Mieter wollen wissen, wie es weitergeht
Den Mietern zweier Mehrfamilienhäuser in der Siedlung werden unterdessen großzügigere Fristen für einen Auszug gesetzt als der Vorsitzenden der Stiftung und ihrem Ehemann. »Eine akute Gefahr für Obdachlosigkeit besteht nicht«, betont Liebermann. Die Frist für einen freiwilligen Auszug der Mieter belaufe sich auf ein Jahr, »wenn nötig auch mehr«. Erst wenn sie danach nicht ausziehen »oder auf das Anhörungs- und Erinnerungsschreiben nicht reagieren«, ergehe gegen die Mieter ein Nutzungsverbot mit einer Jahresfrist oder einer »Dreimonatsfrist, wenn bereits eine Jahresfrist zum freiwilligen Auszug verstrichen ist«.
Auch wenn die Zeit für die Mieter damit nicht allzu sehr drängt, wollen diese freilich wissen, wie es für sie weitergeht. Vor diesem Hintergrund hat sich vor wenigen Tagen der Kreistag mit dem Thema beschäftigt. Der Kreisausschuss erklärte nach einer Anfrage der Linken, man stehe mit der Stadt Linden in Kontakt und versuche, über lokale Akteure »die Möglichkeiten einer Wohnungsvermittlung auszuloten«. Gleichzeitig werde man prüfen, ob bauleitplanerische Möglichkeiten bestehen, »doch noch eine für alle Beteiligten gangbare Lösung zu erzielen«.
Auch Sabine Sommerlad von der BuFu-Stiftung hat die Hoffnung geäußert, dass die Stadt Linden den Flächennutzungsplan für das Gebiet ändert und so das Wohnen auf dem Areal künftig erlaubt. Eine derartige Lösung erscheint allerdings zumindest in naher Zukunft ausgeschlossen, wie Liebermann betont. Die Gebäude liegen auf früherem Bergwerksgrund. Er stehe daher im Austausch mit dem Regierungspräsidium, sagte Liebermann. Gründliche Untersuchungen seien erforderlich. »Bis dahin sollten wir als Stadt Linden die Füße still halten.«
Illegale Wohnsiedlung in Linden: »Keinerlei Hinweise auf Korruption«
Gleichzeitig drängen sich Fragen auf: Wie kann es sein, dass in dem Gebiet seit 2005 illegales Wohnen entstehen und immer weiter ausgebaut werden konnte? Warum hat die Bauaufsicht dort nicht strenger kontrolliert und das weitere Bauen verhindert?
Dirk Wingender, Sprecher des Landkreises, betont auf Nachfrage, dass es am Bergwerkswald durchaus »eine Reihe von Baukontrollen gab« - ebenso Baustopps, mehrfache Festsetzungen von Zwangsgeld, erneute Kontrollen und Hinweise an den Bauherrn, dass seine Bauvorhaben illegal waren. Außerdem habe es eine Anhörung des Bauherrn wegen des bevorstehenden Nutzungsverbots gegeben.
Als beispielsweise im Fall des villenähnlichen Wohnhauses ein zwischenzeitlicher Stopp und keine weitere Bautätigkeit mehr festzustellen war, habe man die Kontrollen eingestellt. 2018 aber habe man entdeckt, »dass das villenähnliche Wohnhaus fertiggestellt worden war«. Ein Versäumnis liege seitens des Bauherren vor, erklärt Wingender allerdings. »Dieser hat über Jahre vorsätzlich gegen geltendes Recht verstoßen.«
Grundsätzlich seien allein durch die starke Entwicklung der Baukonjunktur seit den Jahren 2015 und 2016 die Fallzahlen der Bauaufsicht in allen Bereichen und damit das Arbeitsaufkommen »derart angestiegen, dass die Kontrolle illegaler Bauten im Außenbereich, die es in vielen Kommunen in verschiedenster Form gibt, kein alleiniger Arbeitsschwerpunkt sein konnte«.
Wingender kündigt derweil »ein verstärktes und planmäßiges Vorgehen« des Landkreises gegen illegale Bebauung im Außenbereich an, »gemeinsam konzeptioniert zwischen Unterer Naturschutzbehörde und Bauaufsicht«. Aus diesem Grund gebe es im Frühjahr eine zusätzliche volle Stelle für den Fachdienst Bauaufsicht. »Dieses Vorgehen wurde bereits 2021 vereinbart und hängt nicht mit der illegalen Bebauung am Bergwerkswald zusammen«, fügt er hinzu.
Wingender erklärt auf Nachfrage, dass es im Rahmen der über einen so bemerkenswert langen Zeitraum durchgeführten illegalen Wohnsiedlung in Linden »keinerlei Hinweise auf Korruption« gebe.