Lollarer Praxis als »Erfolgsmodell«

Wie kann die Teilhabe von jungen Menschen mit Einwanderungsgeschichte und oftmals schwierigen Startbedingungen gefördert werden? In Lollar hat sich über Jahre die Vernetzung sozialer Träger bewährt. Davon hat sich nun eine hochrangige Vertreterin des Bundesfamilienministeriums überzeugt.
Es sei ein »Erfolgsmodell«, ein »Glücksfall« - diese und ähnliche Begriffe fielen am Donnerstag mehrfach: Seit Jahren arbeiten im Lollarer Jugend- und Beratungszentrum soziale Träger Hand in Hand, bieten eine zentrale Anlaufstelle für Menschen mit verschiedensten Bedarfen. Unter anderem sind hier Jugendpflege, Gemeinwesenarbeit und Integrationsbüro untergebracht, ferner der vom Bund geförderte Jugendmigrationsdienst (JMD), dem am Morgen hoher Besuch galt: Im Rahmen ihrer »Sommertour« unter dem Motto »Kinderchancen vor Ort« war Ekin Deligöz, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfamilienministerium, zu Gast und infomierte sich über die Herausforderungen und Ansätze vor Ort.
Das Ziel des JMD: Menschen mit Einwanderungsgeschichte im Alter von zwölf bis 27 Jahren sollen individuell begleitet, bei der Integration unterstützt werden, etwa in Sachen Schule, Beruf oder beim Umgang mit Behörden. Als Träger ist dafür in Lollar der Internationale Bund (IB) zuständig. Auch junge Menschen aus anderen Kreiskommunen werden hier betreut, im Juli waren es laut IB insgesamt 97 Personen. Diese Arbeit sei »unheimlich wertvoll«, sagte Ralf Finthammer, Regionalleiter Hessen Nord des IB.
Die Kooperation in Lollar bringe viele Synergieeffekte mit sich. Die Stadt und besonders der scheidende Bürgermeister Dr. Bernd Wieczorek seien ein »Garant« dafür, dass man hier vernetzt arbeiten könne. Er hoffe, dass das auch für die nächste Person im Bürgermeisteramt gelten werde, so Finthammer.
»Ein Ausländer-Anteil in der Kernstadt, der gegen 30 Prozent geht«, zudem viele Menschen mit Migrationshintergrund - das trage zur besonderen Situation in Lollar bei, so der Bürgermeister. Laut dem Kreis ist das Armutsrisiko in Lollar, gerade bei jungen Menschen, besonders hoch. Deutschlandweit war 2020 laut Ministerium rund jedes fünfte Kind von relativer Einkommensarmut betroffen.
Die vernetzte soziale Arbeit werde durch das Bundesprogramm »Soziale Stadt« ermöglicht, so Wieczorek. »Bitte machen Sie sich weiter stark für dieses Programm«, wandte er sich an die Grünen-Bundespolitikerin, die auch als »Kinderchancen-Koordinatorin« fungiert. Nachhaltigkeit sei dabei wichtig, betonte er. »Was nützen uns Programme, die zwei, drei Jahre laufen?«
Deligöz versicherte, dass die Jugendmigrationsdienste weiter gefördert würden. Angesichts des Zuzugs von Geflüchteten aus der Ukraine sei es ein Vorteil gewesen, dass Strukturen schon existiert hätten. »Etwas, was schon vorhanden ist, hochzufahren, ist einfacher, als etwas, das nicht existiert, zu schaffen.« Nun sei absehbar, dass viele Ukrainer vorerst bleiben, das werde auch mit Blick auf Schulen und Kitas zu Herausforderungen führen - während einer »Kumulation« von Krisen.
»Ich will trotzdem eine gewisse Zuversicht vermitteln«, sagte Deligöz und verwies auf »Stärken der Gesellschaft«. Bei den Besuchen von Initiativen habe sie bewusst auch ländliche Regionen eingeplant und wolle die Eindrücke auch im »Nationalen Aktionsplan« (siehe Kasten) berücksichtigen, so die Staatssekretärin.
Wie hilfreich die Lollarer Beratung sein kann, verdeutlichten drei junge Menschen aus der Ukraine, die hier über das JMD-Programm betreut werden - und binnen kurzer Zeit schon beachtliche Deutschkenntnisse erworben haben. Dass in Lilija Marinov eine JMD-Mitarbeiterin auch Russisch spricht, sei jetzt sehr nützlich, hieß es vor Ort.
Die Vertreter des IB nutzten den Besuch auch, um für die Fortführung eines weiteren JMD-Programms zu werben, dessen Finanzierung nun auf der Kippe stehe: »Respekt-Coaches« als Angebot an Schulen zur Stärkung des Demokratieverständnisses. Deligöz wollte in dieser Hinsicht nichts versprechen, zumal in der Schulpolitik der Föderalismus zu beachten sei. Für eine Fortführung werde sich ihr Haus aber »massiv einsetzen«.
Nach gut einer Stunde Austausch, Diskussion und ein paar Fotos verließ die Staatssekretärin samt Begleitern Lollar wieder. Wie ist der Besuch angekommen? »Ich fand interessant, wie gut sie informiert ist«, so IB-Vertreterin Verena Leowald, »das zeigt, dass unsere Arbeit von der Politik gesehen wird.« Soziale Arbeit müsse »immer wieder präsent gemacht werden«, ergänzte Finthammer. »Man muss den Finger in die Wunde legen.«