Härter durchgreifen: Lollar plant Comeback von freiwilligem Polizeidienst

Mit einem Comeback des freiwilligen Polizeidienstes und einer Gefahrenabwehrverordnung möchte die Kommunalpolitik in Lollar (Landkreis Gießen) die Sicherheitslage verbessern.
Lollar - Die »Sicherheit und Ordnung« im öffentlichen Raum und das »subjektive Sicherheitsgefühl«, gerade in der Lollarer Kernstadt, waren im Vorfeld der am Sonntag stattfinden Bürgermeisterwahl (Bericht auf Seite 33) häufiger Thema. Am Donnerstagabend hat sich auch die Stadtverordnetenversammlung damit beschäftigt und eine Kehrtwende vollzogen: Der vor einigen Jahren eingestellte freiwillige Polizeidienst soll mit sechs Stellen reaktiviert werden. Ein entsprechender Antrag von SPD und Grünen wurde einstimmig angenommen. Ein Vertreter des Gießener Polizeipräsidiums soll laut dem Beschluss das Projekt der Öffentlichkeit vorstellen. Im Nachtragshaushalt 2022, der am Abend ebenfalls beschlossen wurde, werden 20 000 Euro für den Dienst eingeplant.
Ziel sei, Präsenz zu zeigen, Vorfälle zu beobachten und zu melden sowie »vorbeugende Gespräche« zu führen, um die »Sicherheitslage« zu verbessern, heißt es in der Begründung. Vielen Lollarern seien »regelmäßige Verstöße« wie Falschparken oder Raserei, gerade im Bereich der Ortsdurchfahrt, Vandalismus und Müllablagerungen bekannt, sagte Bertin Geißler (SPD). Auch in den Stadtteilen gebe es sicher »weitere Hotspots«. Er nannte auch die CBES und die Schur als Schwerpunkte, teils werde »Notdurft« auf öffentlichen Plätzen verrichtet. »Aggressive Kommentare« in Sprachen, die vielen Bürgern nicht bekannt seien, führten zu »Angst«. Geißler: »Wir müssen handeln, um die Lebensqualität wiederherzustellen.«
Lollar hat bei der Polizei keine Priorität
Der »Knackpunkt« sei, dass von der Polizei, wenn sie verständigt werde, teils die Aussage komme, »dass Lollar keine Priorität hat«. Ob tatsächlich eine Streife losfahre, sei »Glückssache«, so der SPD-Mann. Man dürfe »nicht wegschauen« und »von alleine wird sich dieses Problem definitiv nicht lösen«.
Die CDU stimmte in der Sache zu, zeigte sich aber über die Initiative verwundert: »Ich frage mich, was ihr die letzten zehn Jahre gemacht habt«, sagte Fraktionschef Dr. Jens-Christian Kraft an die Adresse der Koalition. Er begrüße, »dass Rot-Grün mit einer 180-Grad-Drehung die eigene Fehlentscheidung korrigiert«.
Die Koalition sei durchaus tätig geworden, hielt SPD-Fraktionschef Norman Speier dagegen und verwies auf Gemeinwesenarbeit, Integrationsbeauftragte und einen »Runden Tisch«, der sich inbesondere mit der »bulgarischen Community« beschäftige. Teils seien Häuser geräumt worden, in denen Menschen »unter unwürdigen Bedingungen« untergebracht gewesen seien. Zu Gruppen, die sich regelmäßig in der Schur träfen, sei »Kontakt geknüpft« worden, so Speier - doch das habe »nicht so funktioniert«. Der Antrag für den Freiwilligen Polizeidienst sei nötig, »da die Polizei an Grenzen gerät und uns in Lollar nicht die Unterstützung geben kann, die es bräuchte«.
Lollar (Landkreis Gießen): Mangel an Räumen für Jugendliche
Als Jugendbeauftragte appellierte Silke Röske (Grüne), jungen Menschen auch Orte zum Verweilen anzubieten. Ihr Fraktionskollege Robin Lynker fühlte sich bei dem Thema »zwiegespalten«. Einerseits unterstütze er den Antrag, aber: »Ich sehe keinen Raum für diese Menschen.« Bolzplätze, auf denen man Konflikte »gepflegt« am Ball lösen könne, seien größtenteils verschwunden. Auch brauche es mehr Kapazitäten in der Jugendpflege, um sich der Jugendlichen wirklich annehmen zu können.
»Der freiwillige Polizeidienst ist kein Allheilmittel«, sei eher ein »zahnloser Tiger«, so FDP-Fraktionsvorsitzende Cornelia Maykemper. Er habe seinerzeit auch mangels Befugnissen zu »keinem befriedigenden Ergebnis« geführt. Maykemper weiter: »Arbeit für Jugendliche ist wichtiger als dass Menschen durch die Stadt laufen, die Stärke und Kompetenz vermitteln, wo keine da ist.« Man solle vor allem überlegen, »wie man mit jungen Menschen ins Gespräch kommt«.
Aus seiner Sicht sei der Polizeidienst »nicht so erfolglos« gewesen, sagte Bürgermeister Dr. Bernd Wieczorek. Auch er sehe das Problem, dass es an Räumen für Jugendliche mangele. Nun sei geplant, in einem früher von der DLRG genutzten Saal am Waldschwimmbad einen weiteren Jugendraum einzurichten.
Lollar (Landkreis Gießen): Parlament stimmt einstimmig für Gefahrenabwehrverordnung
In der Sitzung wurde ein weiterer Beschluss gefasst, der mit dem Thema Sicherheit zusammenhängt: Einstimmig votierte das Parlament für eine »Gefahrenabwehrverordnung zum Verhalten und dem Schutz« von öffentlichen Straßen, Anlagen und Einrichtungen, die auch Bußgelder für Ordnungswidrigkeiten festlegt. Dabei geht es etwa um Müllentsorgung, Belästigungen durch »grob störendes Verhalten«, Parkverbote und die Nutzung von Spielplätzen, aber auch das Füttern von Tieren.
Hintergrund ist laut der Vorlage der Verwaltung, dass es aus der Bevölkerung »vermehrt Beschwerden« über Verschmutzungen, Lärm und mehr gegeben habe. Dreimal pro Woche entferne der Bauhof aktuell Müll und Scherben von Spielplätzen. Bislang, heißt es weiter, fehle der Stadt aber eine rechtliche Handhabe, um im öffentlichen Raum nicht nur zu kontrollieren, sondern auch »Verstöße wirksam zu ahnden« oder Platzverweise zu erteilen. Das soll die Verordnung nun ändern.
Im Gespräch mit der Gießener Allgemeinen erklärt die Bürgermeisterkandidatin von SPD und Grünen, Bianka de Waal-Schneider, den Schwenk ihrer Partei in Sachen freiwilliger Polizeidienst.