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Weckruf für die Menschheit

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Von: Volker Heller

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Lollar (vh). Dinge, die die Welt bewegen, müssen nicht aus einer Metropole stammen. Ein Zufall hob jetzt die Stadt Lollar hervor. Die formal am Oratorium angelehnte Komposition »House on Fire« sollte eigentlich auf dem Ökumenischen Kirchentag im Mai 2021 in Frankfurt/Main uraufgeführt werden. Wegen der Corona-Pandemie gab es damals eine Absage. Jetzt spielte man das Konzert zweimal in der evangelischen Kirche in Lollar - Samstag- und Sonntagnachmittag.

Stehender Applaus bei der Uraufführung.

Das Werk ist von seiner Machart gefällig und unbequem zugleich. Im Text von Dieter Siebert (Berlin/Brandenburg) finden sich englischsprachige Einsprengsel, Zitate aus der Bibel oder solche aus der Rede des Indianer-Häuptlings Chief Seattle.

Judith Brandenburg, Komponistin und Bandoneon-Spielerin aus Berlin, erläuterte dem Publikum anlässlich ihrer Werkeinführung, sie habe hinsichtlich der allgegenwärtigen Diskussion um den Klimawandel selber recherchiert, habe sich sehr erschrocken und eines Tags gedacht: »Was kann ich als Musikerin der schönen Künste schon tun?«

Zusammen mit Daniela Werner (Dekanatskantorin aus Treis) gewann die Idee, eine Komposition als Weckruf für die Menschen zu verfassen, an Gestalt. Musik und Text erfüllen nun metaphorische Funktionen. Das kam auch optisch zur Geltung. Der Chor trug Weiß, das Orchester Schwarz. Sieben Sätze gliedern das gut einstündige Werk. Endzeitstimmung und Hoffnungsschimmer sind miteinander verwoben. Bereits der Titel trägt eine Metapher: »House«. Gemeint ist die Heimat des Menschen, die Erdkugel. Der Mensch zerstört den von ihm selbst bewohnten Planeten.

Sensibles Dirigat

Im Satz »Wasser« werden untergehende Inselreiche verlautbar, im Satz »Agnus Dei« keimt die Hoffnung, das Wort Gottes könne den Menschen in seine Verantwortung verweisen. Der Gesang kann andächtig sein wie im ersten Satz »Schöpfung« und drängend, aufrührend wie im Satz »Gier« mit seinem abrupten Ende - man erschrickt. Die Zwischentöne des von Natur aus melancholischen Bandeons kontrastieren wiederum zum lieblichen Solosopran von Kira Petry.

Die vom Orchester und Chor gesetzten Akzente wirken für die Hörer schlüssig, manchmal sogar voraussehbar. Die Harmonien sind aufrüttelnd, aber nicht abschreckend. Man soll betroffen sein, dennoch nicht abgeschreckt werden. Brandenburg fügt aneinander, was normalerweise unpassend wäre: Etwa die Fugenform, den argentinischen Tanz, Ton »G« mit Obertönen und das g-Moll. Eine wirklich hohe Kunst. Sensibel dirigiert von Daniela Werner. Dargeboten vom Dekanatschor Collegium vocale Kirchberg (am Klavier Marion Bathe. - Violinen: Ruben Gulkanyan, Yi Xiao, Hannedore Rau, Vera Krauss, Julia Richtberg, Elisa Friedrich. - Violen: Axel Lis, Franz Oehler. - Cello: Torsten Oehler, Nina Barashkova. - Kontrabass: Carmen Brendel).

Das Werk soll nun seinen Weg in die Welt antreten. Seine Botschaft ist zeitlos und universell. Eine Zugabe schloss die Uraufführung. Der nun im Kirchenrund stehende Chor sang »Peace on Earth«.

Nebenan im Gemeindehaus war eine Ausstellung zu besichtigen. Studierende der Universität Gießen hatten mit der Umweltpsychologin Dr. Sonja Geiger zu jedem der sieben Sätze ein Plakat entworfen und interaktives Material.

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