Umstrittener Verkehrsversuch

Der Lollarer Bauausschuss hat am Dienstag kontrovers diskutiert, ob die Ausweisung einer Trasse in der Kernstadt als »unechte Fahrradstraße« eine gute Idee ist. Auch über einen schon laufenden Verkehrsversuch direkt nebenan gehen die Meinungen auseinander.
Es war eine lange Diskussion über einen Verkehrsversuch, die teils zur Grundsatzdebatte darüber geriet, wie sich Radverkehr sinnvoll fördern lässt und inwieweit er Vorrang haben sollte: Der Lollarer Bauausschuss hat sich am Dienstag intensiv mit einem Antrag der Grünen beschäftigt, der letztlich mit Mehrheit dem Parlament zur Annahme empfohlen wurde. Zeitgleich stimmte auch der Lollarer Ortsbeirat dafür.
Demnach sollen Magistrat und Ortspolizeibehörde möglichst ab April einen Verkehrsversuch »unechte Fahrradstraße« in der Kernstadt veranlassen, dazu zeitnah »Abstimmungsgespräche« mit Behörden wie Hessen Mobil führen. Vorgesehen ist eine Trasse ab der Einmündung Ostendstraße auf die Daubringer Straße (Kreisstraße 29) über die Kreuzung Lumdastraße, Schur, Bleichstraße und Kirchstraße bis zum Lahntalradweg. Auf Anregung der SPD wurde zudem aufgenommen, nach einem Jahr zu evaluieren.
Kurzfristig hatten die Grünen den Antrag dahingehend geändert, dass aktuell verkehrsberuhigte Bereiche (Grundschule/Schur und Kirchstraße) sowie die Kreuzung Daubringer Straße/Schur nicht umgewidmet, aber als »Fahrrad-Route« beschildert werden. Auch soll eine Ampel an der Kreuzung Kirch-/Gießener- und Bleichstraße eingerichtet werden, auch wegen der Nähe zur Kita »Flohkiste«. Eine Kooperation mit Grundschule und Polizei zwecks eines »sicheren und autofreien Schulwegs« sei anzustreben.
In der Begründung verweisen die Grünen auf »große Kostenvorteile« gegenüber neuen Radwegen, auch sei für die »unechte Fahrradstraße« keine weitere Versiegelung nötig. Es gehe um »sichere Mobilität« für alle Verkehrsteilnehmer, aber auch um Klimaschutz. Die Trasse ermögliche einen Lückenschluss zwischen dem Lumdatal- und dem Lahntalradweg, sei gerade für Pendler attraktiv und motiviere »zum Umsteigen auf das Rad«. Die Bewohner der Daubringer Straße wünschten sich »mehrheitlich« eine Temporeduzierung, eine Anordnung für Tempo 30 auf dieser Kreisstraße gebe die Straßenverkehrsordnung (StVO) aber nicht her - da werde die »unechte Fahrradstraße« Abhilfe schaffen.
Doch was bedeutet dieser Begriff konkret? Darüber informierte Kreis-Verkehrsdezernent Christian Zuckermann als Gast: Faktisch gelte dann Tempo 30, Radfahrer hätten Vorrang. Laut den Lollarer Grünen dürfen Radler zudem nicht überholt werden - wer sich an die StVO halte, für den ändere sich insofern nichts, weil in der Daubringer Straße aktuell schon der Sicherheitsabstand beim Überholen an den meisten Stellen nicht eingehalten werden könne. Auch blieben Parkplätze erhalten.
Zuckermann riet, die Debatte zu »versachlichen«. Bund, Land, Kreis und Stadt hätten sich dazu bekannt, »klimarelevante Maßnahmen umzusetzen«. In diesem Kontext ist auch ein schon laufender, zuletzt kontrovers diskutierter Verkehrsversuch zu sehen: Die Verlängerung der K29 bis zur »Vitalen Mitte« in Staufenberg ist aktuell als »unechte Fahrradstraße« ausgewiesen. Die Testphase wurde laut Zuckermann bis Ende September verlängert, um eine »Fahrradsaison« evaluieren zu können.
Diese Ausweisung auf einer Kreisstraße sei »hessenweit einmalig«, sagte der Dezernent, verteidigte den Verkehrsversuch - und hatte eine Neuigkeit im Gepäck: Er halte die überörtliche Bedeutung der K29 für fraglich, man sei »in Verhandlungen« über eine Abstufung zur Gemeindestraße. »Da tun sich neue Möglichkeiten auf«, kommentierte Norman Speier (SPD). Im Fall der Umklassifizierung wären die Kommunen für die Straße zuständig.
Deutlich wurde, dass der laufende Versuch nicht konfliktfrei verläuft. Cornelia Maykemper (FDP) berichtete von einem Gespräch mit Staufenbergs Bürgermeister Peter Gefeller, wonach es auf der K29 unter anderem zu Beschimpfungen zwischen Radlern und Autofahrern komme. »Die unechte Fahrradstraße ist immer ein Kompromiss«, meinte Zuckermann - als reine Fahrradstraße hätte sie aus seiner Sicht einen größeren Nutzen für Radfahrer wie Anwohner (Verkehrsberuhigung).
Zur Evaluierung des laufenden Verkehrsversuchs kamen kritische Fragen an den Kreispolitiker: »Schaut der Landkreis eher Pi mal Daumen?«, erkundigte sich Speier. »Wir messen regelmäßig«, sagte Zuckermann, es gebe in Staufenberg und Lollar je eine Messstation, die Verkehrspolizei kontrolliere zudem Geschwindigkeiten. Veränderung brauche Zeit, er gehe aber von einer »Entwicklung zum Positiven« beim Kreis-Verkehrsversuch aus, etwa mit Blick auf Umstiege auf das Rad. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen er den Versuch als gescheitert ansehen würde, beantwortete der Dezernent jedoch nicht konkret.
Nach einigem Hin und Her geriet wieder das eigentliche Thema in den Fokus: der Antrag zum innerörtlichen Verkehrsversuch. Die CDU bekräftigte ihre ablehnende Haltung. »Die große Lösung ist für uns die Nord-Süd-Achse«, also ein Radweg an der Ortsdurchfahrt, so Dr. Jens-Christian Kraft (CDU). Michelle Kraft, ebenfalls CDU, bezweifelte, dass der Grünen-Antrag »eine deutliche Verbesserung der Sicherheit bringen würde«. Wolfgang Haußmann (Grüne) hielt dagegen: »Es geht um ein Signal, einen Prozess.«
Speier konnte der »großen Lösung« der CDU wenig abgewinnen, das sei nicht realistisch, so der Tenor. »Jetzt liegt ein konkreter Antrag vor«, so Speier, »irgendwann muss es einen Anfang geben, wenn wir es ernst meinen«. Jedoch glaube er nicht, dass die beantragte Ampelanlage auch genehmigt werde.
Schließlich erhielten auch Bürger Rederecht - und verdeutlichten, dass offenbar auch die Anwohner uneins in Sachen »unechte Fahrradstraße« sind: Reiner Kopp (Daubringer Straße) berichtete von seiner Unterschriftensammlung, die er im August vor dem Rathaus übergeben hat. 73 Menschen haben sich beteiligt und für Tempo 30 in der Straße ausgesprochen, 56 davon auch für die Aufnahme in den Verkehrsversuch. Die Gegenrede hielt Anwohner Uwe Wiltschka, der im Februar 56 Unterschriften gegen den Versuch »unechte Fahradstraße« gesammelt hat - teils gibt es allerdings Doppelunterzeichner bei beiden Sammlungen. Mit Tempo 30 hätte er indes kein Problem, meinte Wiltschka.
Auf den Zuhörerplätzen herrschte zwischenzeitlich Unruhe - und ein Mann rief Erstaunliches in den Raum: Fahrräder seien im Verkehr gefährlicher als Autos, »die haben spitze Kanten!«. Ein Argument, das die rot-grüne Koalitionsmehrheit nicht mehr umzustimmen vermochte.