Plötzlich Chef im Lollarer Rathaus: Erster Stadtrat Bernd Maroldt vertritt Bürgermeister seit halbem Jahr

Seit einem halben Jahr vertritt Bernd Maroldt den schwer erkrankten Lollarer Bürgermeister Dr. Bernd Wieczorek. Wie hat der Erste Stadtrat diese Zeit erlebt? Und wie geht es nun weiter?
Lollar – Erster Stadtrat - eine Amtsbezeichnung, die nach Führungsrolle klingt. Stattdessen sind Kommunalpolitiker in dieser Funktion aber die ersten Vertreter der Verwaltungschefs, bleiben, abgesehen von kurzen Urlaubs- oder Krankheitsvertretungen, meist eher im Hintergrund.
So war es auch bei Bernd Maroldt, seit 32 Jahren Kommunalpolitiker und seit 2001 Lollars Erster Stadtrat. Bis Mitte Dezember 2020. Weihnachten stand vor der Tür, die Lollarer Kommunalpolitik absolvierte gerade die letzte Sitzungsrunde des Jahres - und Bürgermeister Dr. Bernd Wieczorek fing sich eine Corona-Infektion ein. »Am Anfang haben wir gedacht: Er ist positiv getestet, muss nun in Quarantäne und ich vertrete ihn für eine kurze Übergangszeit«, blickt Maroldt zurück. Doch es kam anders: Infolge der Infektion stellte sich beim Bürgermeister, wie berichtet, eine Auto-Immun-Erkrankung mit schweren gesundheitlichen Folgen ein. Wieczorek, als sportlich und fit bekannnt, ist auf dem Weg der Besserung, aber nach wie vor im Krankenstand - und Maroldt sitzt noch immer im Büro des Bürgermeisters.
Langzeit-Vertreter des Lollarer Bürgermeisters: »Das war ein Schock«
»Es war schnell klar, dass wir länger nicht mit ihm rechnen können«, sagt Maroldt heute, »so eine Erkrankung wünscht man keinem, das war ein Schock, auch für die gesamte Verwaltung«. Wie ist er selbst mit der Perspektive umgegangen, nun absehbar über Monate die größte Verantwortung im Rathaus zu tragen? »Ich wusste, was mich erwartet. Und - ohne, dass ich mir darauf etwas einbilde: Es war gut, dass in dieser Zeit ein erfahrenes Magistratsmitglied Erster Stadtrat war.« Aufgeregt sei er damals nicht gewesen. Doch eine so lange Vertretung sei natürlich etwas anderes, als die Amtsgeschäfte während eines kurzen Urlaubs zu übernehmen, »da laufen ja keine grundsätzlichen Sachen«.
Gerade in diesem Frühjahr mangelte es nicht an Herausforderungen im Rathaus: Maroldt musste Magistratsentscheidungen im Kontext von Corona vorbereiten, unter anderem in Sachen Kitas, und sich über die Anstellung neuer Mitarbeiter Gedanken machen. Dass er SPD-Mitglied ist, Wieczorek dagegen seit Jahren kein Genosse mehr, habe in dieser Zeit aber keine Rolle gespielt, betont der Vertreter. »Der Magistrat ist ein Kollegialorgan, und man steht loyal zum Bürgermeister.«
Andererseits gleicht keine Person der anderen, das gilt auch an der Spitze einer Verwaltung. »Natürlich sieht der Bürgermeister manche Sachen anders als ich, das ist doch klar«, räumt Maroldt ein. Am Ende komme es darauf an, dass anstehende Entscheidungen gefällt werden. Und dabei, meint Maroldt, sei ihm vielleicht auch die Erfahrung aus dem Berufsleben zu Gute gekommen: Er war bis vor drei Jahren Filialleiter einer Bank in Gießen. Im Zuge von Umstrukturierungen habe er dann einen Sozialplan in Anspruch genommen, schied mit 59 aus dem Berufsleben aus. »Entscheidungsvorbereitungen - das ist in der freien Wirtschaft ein wesentlich schnellerer Prozess«, sagt Maroldt. So habe er in den vergangenen Monaten noch einmal gemerkt, dass es schon mal dauern kann, bis sich Projekte umsetzen lassen, Rückmeldungen von anderen Behörden kommen. Sein Eindruck: »In der Verwaltung muss man sich einen ganz anderen Führungsstil angewöhnen, auch mehr auf die Befindlichkeiten der Mitarbeiter achten.«
Langzeit-Vertreter des Lollarer Bürgermeisters: Zum Glück in Rente
Wäre er noch berufstätig, dann hätte er den gewählten Verwaltungschef nicht vertreten können, da ist sich Maroldt sicher. Wie organisiert er sich zurzeit als Interims-Bürgermeister? »Ich bin eigentlich fast jeden Tag vormittags hier in der Verwaltung und nachmittags telefonisch erreichbar oder auf Terminen.« Das funktioniere recht gut. Natürlich hat sich schnell rumgesprochen, dass er im Rathaus nun den Hut auf hat - und mancher Bürger erwartet offenbar ständige Erreichbarkeit: »Ich bin auch schon abends um zehn angerufen worden und wurde wütend gefragt, warum ich die Corona-Fallzahlen nicht runtertreibe. Sie können es sich nicht vorstellen! Das braucht man dann nicht auch noch.«
Umso wichtiger ist es wohl, nicht das komplette Familien- und Privatleben dem Rathausjob unterzuordnen. »Ich habe zwei Enkel, der ältere ist immer Freitagmittags bei mir. Das lasse ich mir doch nicht nehmen - und das wissen auch die Vorzimmerdamen seit Jahren.«
Hat der Erste Stadtrat während der unvorhergesehenen Monate auf der kommunalen Pole Position einen neuen Blick auf die Verwaltung gewonnen? »Gerade in Bezug auf das Personal sehe ich manches jetzt etwas anders: Hier sitzt keiner und langweilt sich. Arbeit hat hier jeder - und nicht zu wenig. Das hat man vielleicht ein bisschen unterschätzt, wenn man nicht täglich mit den Leuten zusammenarbeitet«, bekundet der 62-Jährige. »Die Leute sind hier jeden Tag hart am Kämpfen, das wird von der Öffentlichkeit nicht immer gesehen.«
Zur Person: Bernd Maroldt
Der 62-Jährige ist in Lollar aufgewachsen und wohnt seit zehn Jahren im Stadtteil Odenhausen. Bis vor gut drei Jahren leitete er eine Bankfiliale in Gießen.
Maroldt ist in der Kommunalpolitik erfahren: 1989 wurde er SPD-Stadtverordneter, 1997 Stadtrat. Seit 20. Juni 2001 - also seit fast genau 20 Jahren - ist er Erster Stadtrat und somit erster Vertreter von Dr. Bernd Wieczorek, der seit 2004 als Bürgermeister fungiert. Der Diplom-Betriebswirt Maroldt ist auch Vorsitzender des SPD-Ortsvereins
Langzeit-Vertreter des Lollarer Bürgermeisters: Rathauschefs bieten Unterstützung an
Von Anfang an sei er von der Verwaltung als Bürgermeister-Vertreter unterstützt worden, betont Maroldt, »man hat sofort anerkannt, dass ich nun der Chef bin«. Auch Bürgermeister aus dem Kreis hätten schnell Hilfe bei Fachfragen angeboten, gerade jene aus den Reihen der SPD.
Seit etlichen Wochen telefoniert er wieder regelmäßig mit Wieczorek. Ungezählte Male haben ihn Lollarer gefragt, wie es dem Bürgermeister geht - und mancher habe bezweifelt, dass er zurückkommt. Maroldt widersprach den Gerüchten. »Mir war vollkommen klar, dass ein Bürgermeister Wieczorek kämpft und sich nicht aufs Altenteil zurückzieht.« Und er behält Recht: Ab 1. Juli wird Wieczorek die Amtsgeschäfte, zunächst stundenweise, wieder aufnehmen, »darauf freut er sich«.
»Ich wollte nie Bürgermeister sein«, sagt Maroldt. »Und ich bin froh, wenn der Bürgermeister das Heft des Handelns wieder in die Hand nimmt.« (jwr)