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Atilla Tuluk: Mit Disziplin Champion im Kickboxen

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Atilla Tuluk in Aktion (rechts): Hier kontert er erfolgreich einen Angriff seines Kontrahenten bei den Kämpfen zum Worldcup in Innsbruck.
Atilla Tuluk in Aktion (rechts): Hier kontert er erfolgreich einen Angriff seines Kontrahenten bei den Kämpfen zum Worldcup in Innsbruck. © pv

Lollar (skw/khn). Atilla Tuluk ist 22 Jahre alt und amtierender Kickbox-Worldcup-Sieger im Vollkontakt in der Gewichtsklasse bis 86 Kilogramm. Die Gießener Allgemeine Zeitung hat ihn besucht und gefragt: Welcher Mensch steckt hinter dem Sportler Atilla Tuluk?

Es ist ein Donnerstag, 10.07 Uhr. Atilla Tuluk nähert sich der Trainingshalle im Gewerbegebiet Pfingstweide in Lollar. Schwarzes, bedrucktes und von Muskeln gedehntes T-Shirt, Trainingshose, und die Tasche lässig geschultert. Ein kurzer Blick in die Augen, dann zu Boden, eine freundliche Begrüßung. Dieser zurückhaltende junge Mann soll Kickbox-Champion sein? Unbedingt! Nachdem der 22-jährige Lollarer dieser Tage von Bürgermeister Dr. Bernd Wieczorek im Rathaus empfangen und geehrt worden ist (wir berichteten Mitte Mai ), hat er sich mit dieser Zeitung unterhalten: über Respekt, Selbstbewusstsein, Disziplin und Glücksmomente.

Im Hinterhof des Möbelhauses Drommershausen in Lollar hat Christian Paffrath sein Trainingszentrum. Der Personal- und Kampfsporttrainer macht nicht nur Privatleute fit, sondern kümmert sich auch darum, dass Kickboxer besser werden. Einer von ihnen ist Tuluk. Warum wir uns hier treffen? Ganz klar: Der 22-Jährige befindet sich auf heimischen Terrain, verbringt viel Zeit in der aufgeräumten Trainingshalle. Und kann nach dem Interview zeigen, was er drauf hat.

Tuluk ist in Gießen geboren worden – als fünftes von sieben Kindern einer türkischen Familie. Seine Eltern sind seit über 30 Jahren in Deutschland. Bei seinem Vater arbeitet er als Landschaftsgärtner, außerdem ab und an für einen Sicherheitsdienst. Zum Kickboxen sei er nur gekommen, um einen Ausgleich zum Fußballspielen zu haben, erzählt er. Zwei Jahre lang übt er beide Sportarten aus – um fit zu bleiben. Doch als sich die ersten Erfolge beim Kampfsport einstellen, steht er vor der Wahl: Ball oder Boxen?

Dass sich Tuluk fürs Kickboxen entscheidet, schmeckt seinen Eltern zu Beginn ganz und gar nicht. Sie hätten Angst davor gehabt, was der Sport aus ihrem Sohn machen könnte, sagt der Sportler, während er in der Trainingshalle auf einer schmalen Holzbank sitzt. Inzwischen seien sie aber stolz auf ihn und freuten sich über seine Erfolge – unter anderem über den jüngsten Sieg beim Worldcup im österreichischen Innsbruck im Vollkontakt in der Gewichtsklasse bis 86 Kilogramm. Zu Turnieren wird er von seiner Familie begleitet. »Seitdem habe ich ein noch besseres Verhältnis zu meinen Geschwistern«, sagt Tuluk und lacht.

Außerdem komme es ihm entgegen, dass er im Betrieb seines Vaters arbeite. Dieser nehme immer wieder Rücksicht darauf, wenn der 22-Jährige trainieren müsse. Das macht Tuluk sechs Tage in der Woche, jeweils eineinhalb Stunden. Sechs bis acht Wochen vor Wettkämpfen, die alle zwei bis drei Monate stattfinden, steigert er sein Pensum. Dann kommt er zwei Mal am Tag in das Sportzentrum von Paffrath. Der Trainer ist stolz auf die Disziplin seines Schützlings: »Andere müssen in so einem Moment von 40 Prozent Leistung wieder auf Wettkampfniveau kommen, aber er ist immer bei 90 Prozent.«

Für Tuluk ist dieses Pensum normal geworden. Er denkt und liebt diesen Sport. Aber er will sich ihm nicht bedingungslos unterwerfen. Zumindest in seiner knapp bemessenen Freizeit. Tuluk erzählt, dass er es nicht immer gerne habe, privat aufs Kickboxen angesprochen zu werden. »Wie war’s Training?« sei so eine Frage, die er viel zu oft höre, gehe er abends aus. Passiert sei es ihm auch schon öfters, dass er von Wildfremden angesprochen werde: »Du bist doch Atilla Tuluk ...!?«

Bekannt ist er durch den Sport geworden. Dabei kämpft der 22-Jährige nur zu Trainingszwecken bisher bei den Profis mit. Paffrath ist sich aber sicher, dass sein Schützling in einigen Jahren in dieser Liga durchaus behaupten könne. Denn: »Viele haben Talent, aber die wenigsten ziehen es durch und bleiben dran.« Genau das aber zeichne Tuluk aus. Das Problem: Es fehlen Sponsoren – auch aus der Region. Der 22-Jährige und sein Trainer müssen alles aus eigener Tasche bezahlen. Ein Kraftakt, der in der Profiliga zu einem Balanceakt werden könnte.

Tuluk versucht, solche Nebenkriegsschauplätze auszublenden. Für ihn steht der Sport im Mittelpunkt, und das soll auch so bleiben. Lampenfieber zum Beispiel kenne er nicht, erzählt er. Stehe er vor einem Kampf, spiele er das Aufeinandertreffen mit seinem Gegner in Gedanken durch. Das mache er so lange, bis dieser auf der imaginären Matte liege. Diese mentale Stärkung ist essenziell für Tuluk. Denn dann geht er in den Ring mit der Gewissheit, jeden schlagen zu können. Den Respekt vor dem Gegner, betont er, behalte er trotzdem.

Genug geredet. Tuluk soll zeigen, was er drauf hat. Doch vor dem Sparring steht das Aufwärmen. Keine Freude in dem Gesicht des 22-Jährigen. Es scheint ein notwendiges Übel zu sein. Dennoch zieht er konzentriert seine Kreise, wechselt beim Gehen Schattenboxen und Dehnübungen ab. Paffrath lächelt, bevor er sagt: »Atilla ist eigentlich noch ein junger Mann und braucht ab und an einen Anstoß, muss motiviert werden. Er ruft seinem Schützling zu, in den Spagat zu gehen. Tuluk folgt dem Hinweis sofort, ohne eine Miene zu verziehen.

»Aber wenn die Maschine einmal angeworfen ist, läuft sie«, sagt Paffrath. Als ob der Kickboxer diese Worte gehört hat, legt er beim Sparring mit seinem Trainer los wie die Eisenbahn: Schläge und Tritte in die Pratzen, zielsicher und kraftvoll. Knall folgt Knall, wenn Hände oder Füße die Schlagpolster treffen, die Paffrath festhält. Es sind fließende Bewegungen, die Tuluk macht, der Blick dabei aufs Ziel gerichtet. Die um ihn herum wuselnden Reporter dieser Zeitung mit Videokamera und Fotoapparat nimmt er kaum wahr.

Eigentlich sollte es nur eine kurze Vorführung sein, doch Tuluk will weitermachen. Auch, als eine Kundin von Paffrath die Halle betritt und ihr Personal-Training beginnen will. Doch statt Frust über das Ende der Einheit hat Tuluk ein Lächeln im Gesicht. Der Kampfsport helfe ihm, ruhig zu bleiben, sich zu disziplinieren. Provozieren lasse er sich zum Beispiel nicht. »Alleine beim Training überschreite ich meine Grenzen«, sagt Tuluk, »aber wenn ich es geschafft habe, gehe ich mit einem Lächeln hier raus.« Kein Wunder, dass Paffrath den 22-Jährigen auch gerne dabei hat, wenn die Jüngsten trainieren. »Sie himmeln ihn an«, sagt sein Trainer und lacht. Tuluk lächelt, lenkt schnell von seiner Person ab. Er freue sich zu sehen, erzählt er lieber, wie schnell die Kinder Dinge umsetzen könnten, die man ihnen beibringe.

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