Jan-Erik Dort: Ein Newcomer »mitten aus Lollar«

Er tritt als unabhängiger Bewerber an und setzt auf seine Verwurzelung in Lollar: Jan-Erik Dort ist mit 39 Jahren der jüngste Kandidat für das Bürgermeisteramt. Der Diplom-Sozialwissenschaftler wirbt mit Bodenständigkeit und Bürgernähe.
Lollar – Dass er seinen eigenen Namen auf dem T-Shirt trägt, daran muss sich Jan-Erik Dort selbst noch gewöhnen. Es fühle sich »total surreal« an, sagt der 39-Jährige, während er entspannt wirkend auf seinem Balkon in Lollar sitzt. Auch das eigene Gesicht auf Plakaten und in der Zeitung zu sehen, sei immer noch irgendwie merkwürdig. »Ich bin ja kein Narzisst. Ich bin der Janosch.«
Für den unabhängigen Bewerber um das Lollarer Bürgermeisteramt ist der Wahlkampf eine völlig neue Erfahrung, ein mutiger Versuch ohne Blaupause. Er setzt auf Unterstützung durch seine Frau, Familie, Freunde und Bekannte, bei denen er sich auch Feedback holt. »Ich würde mir den Wahlsieg auch für mein Umfeld wünschen«, das wie er viel Zeit investiert habe.
Wenngleich auch parteigebundene Kandidaten aufs Budget achten müssen: Ohne Parteiunterstützung und -mittel muss Dort erst recht an vielen Stellen schauen, was leistbar ist, auch Abstriche machen. »Es gibt Umwege, die man gehen muss, manchmal nimmt man einen falschen Abzweig.«
Seine Frau, erzählt er, habe die Wahlplakate entworfen, drucken lassen habe er sie in Ruttershausen – »kostenbewusst und umweltschonend«. Zwei Großplakate mit Bauzäunen, zwei mobile Plakate, die er von Ort zu Ort fährt, das müsse reichen.
Dort hatte kürzlich, trotz »milden Verlaufs«, mit Corona zu kämpfen. Ein paar Tage sei er »komplett ausgehebelt« gewesen. Im Wahlkampf habe ihn die kurze Erkrankung etwas zurückgeworfen – und der lang ersehnte Besuch auf der Ruttershäuser Kirmes musste ausfallen. Nun freut er sich, »wieder unter Menschen« zu sein.
Der Vater eines dreijährigen Jungen will im Wahlkampf viel zuhören, offen für Anregungen sein. Dort macht keinen Hehl daraus, dass er zwar politisch sehr interessiert ist, aber nicht mit breiter kommunalpolitischer Erfahrung aufwarten kann und noch nicht für jedes Problem die Lösung in der Schublade hat.
»Ich hätte Bock, mich einzubringen«, und das gemeinsam mit Parteien und Verwaltung, sagt Dort. Die Begeisterung über Erfahrungen aus dem Wahlkampf ist ihm anzumerken, als er etwa von einem Termin mit dem Carneval Club Ruttershausen erzählt – »unabhängig von der Politik ein sehr spaßiger Abend«. Er habe viele tiefe Einblicke erhalten, seine Heimat als Kandidat auf eine Art neu kennengelernt. »Zu sehen, was die Leute bei der Feuerwehr in ihrer Freizeit so reißen, ist sehr beeindruckend«, so Dort. »Nichts ist cooler, als wenn Leute für ihr Thema brennen.«
Auch »Kumpels von früher« treffe er nun häufig bei Terminen. »Ich merke bei vielen, dass wir eine gemeinsame Vergangenheit haben«. Gegenüber seinen Mitbewerberinnen mit Wohnsitz in Staufenberg beziehungsweise Heuchelheim hat Dort im Wahlkampf einen leichten Standortvorteil. Ob das für ihn auch an der Wahlurne zum Plus wird, das steht auf einem anderen Blatt.
Er wirbt mit dem Slogan »mitten aus Lollar« – und es ist nur konsequent, diese Karte auszuspielen. Doch wie wichtig ist die Verwurzelung in Lollar den Lollarern? »Ich weiß nicht, ob das entscheidenden Einfluss hat«, meint Dort. »Manche sagen, dass ›unabhängig‹ eher greift.«
Als Bürgermeister ohne Parteibuch würde er sich quasi in die Tradition von Amtsinhaber Dr. Bernd Wieczorek stellen, der nach 18 Jahren aufhört. Interessante Fußnote: Wie Wieczorek war auch Dort einst Genosse. Der 39-Jährige hat sich während seines Diplom-Studiums der Sozialwissenschaften im SPD-Ortsverein Gießen-Ost engagiert. Doch er habe das Parteigefüge eher als Korsett empfunden, so Dort im Februar. Er sagt, er sehe in verschiedenen Parteiprogrammen Inhalte, »die ich innovativ finde«– und gerade als Unabhängiger könne er womöglich zwischen den Lollarer Fraktionen vermitteln.
Dort wirbt damit, ein bodenständiger »Mann aus der Mitte« zu sein, setzt auf »Bürgernähe« – etwa bei einer Eiswagentour durch die Kommune, für die er sich statt klassischen Haustürwahlkampfs entschieden hat. »Meine Oma hat sich beschwert, dass der Eiswagen nicht in Röderheide war«, erzählt er lächelnd, das habe er dann noch nachgeholt. Im Falle des Wahlsiegs wolle er diese Tour jährlich als Bürgermeister wiederholen – natürlich aus privaten Mitteln finanziert.
Ob er dazu Gelegenheit erhält, steht noch in den Sternen. »Vielleicht ist das Ding ja schon entschieden«, meint Dort mit Blick auf die Briefwahl. »Es gibt eine 33-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass ich es werde«, aber so richtig hilft diese Erkenntnis nicht weiter. »Ich kann es nicht einschätzen«, sagt er. »Wenn Sie jetzt schon das Ergebnis hätten: Ich würde Ihnen alles glauben – außer der absoluten Mehrheit im ersten Wahlgang.«
Dort geht davon aus, dass am Ende eher die Persönlichkeiten als die Themen maßgeblich sind, zumal sich die drei Kandidaten in seinen Augen inhaltlich »nicht krass unterscheiden«. Beispielsweise sei allen an einem Verkehrskonzept und einer »sauberen Stadt« gelegen. Trotz Konkurrenz sei der Umgang unter den Kandidaten »total entspannt«, findet Dort, der kein Lautsprecher und auch kein Platzhirsch ist. »Ein rauer Ton muss nicht sein, wir sind erwachsene Menschen.« Dass zwei Frauen antreten, ist noch immer äußerst ungewöhnlich, Dort findet es »super«. Doch einen Unterschied mache das für ihn eigentlich nicht, sagt er und will sich auf die eigene Kampagne konzentrieren. »Ich bleibe authentisch und werde mich nicht verstellen.«
Das Interesse an Ideen und Perspektiven anderer würde er sich auch als Rathauschef erhalten wollen: Falls er gewänne, würde er gern alle Mitarbeiter zu einem Gespräch treffen, »vielleicht auch mit externer Gesprächsleitung«. Kommunikation sei ein zentraler Punkt, ist er sich sicher, und damit habe er aus seinem Beruf viel Erfahrung.
Dort ist als Coach und Dozent beim gemeinnützigen Träger »Bildungsinsel« beschäftigt, betreut Lang- und Kurzzeit-Arbeitslose. Zuvor hat er unter anderem bei ZAUG gearbeitet. Impulse geben, Kontakte vermitteln, bei Bewerbungen helfen – all das und mehr gehört zu seiner Arbeit.
Wichtig sei ihm, Menschen unvoreingenommen zu begegnen – so, wie er es auch im Job-Alltag tue. »Meine Chefin hat mal gesagt: Bei uns hat jeder eine Null-Akte« – ohne in die eine oder andere Schublade gesteckt zu werden. Es ist eine Tätigkeit, mit der Dort Menschen in schwierigen Situationen dauerhafte Perspektiven bieten will. »Ich bin kein Typ für Schnellschüsse – bezogen auf meine Teilnehmer, und vielleicht bald auch für die Stadt.« In einem früheren Job war Dort als »Personaler« beschäftigt, hat IT-Fachkräfte für die öffentliche Hand rekrutiert, wie er erzählt. »Nie wieder!« sagt er im Rückblick. Da habe er nicht das Gefühl gehabt, für Menschen zu arbeiten.
In der Hoffnung, dass er es in die Stichwahl schafft, freut sich Dort nun auf die Zeit ab Mitte Oktober. Denn natürlich sei der Wahlkampf für seine Frau und ihn – beide in Vollzeit beschäftigt – eine »Doppelbelastung«. Nach dem Wahlkampf bleibt dann vielleicht auch wieder etwas Zeit für Sport und Treffen mit Freunden. Das komme aktuell zu kurz, sagt Dort.
Das nächste Jahr wird für Familie Dort unabhängig vom Wahlausgang eine bedeutende Veränderung mit sich bringen: Das Paar erwartet im Februar ein zweites Kind. Nach der Geburt des ersten hat der Vater Elternzeit genommen – wäre das auch 2023, dann womöglich als Bürgermeister, eine Option? »Das fände ich kurz nach der Wahl etwas vermessen«, sagt Dort.
Nun gilt es erst einmal, den Wahlkampf-Endspurt zu bewältigen. Dort verweist auf »Abendspaziergänge« in den Stadtteilen, außerdem auf einen »politischen Plausch« für Interessierte, den er in Kürze im heimischen Garten anbiete. Auch einige ihm bisher nicht bekannte Menschen hätten sich schon angemeldet. Er wolle ein Kandidat »zum Anfassen« sein, betont der Lollarer. »Ich habe nichts zu verbergen.«
Zurück zum T-Shirt: Das trage er weniger als »Werbung«, sondern mehr als Angebot, dass andere ihn gern ansprechen können, erläutert Dort. »Es hat teils einen Effekt, man sieht die Blicke.« Für den Sozialwissenschaftler Dort dürfte dieser Wahlkampf nicht zuletzt auch ein interessantes Feldexperiment sein – mit offenem Ausgang. (Jonas Wissner)
Die Porträts der anderen Bürgermeister-Kandidaten in Lollar:
Selda Demirel-Kocar: »Worcaholic« und »Kämpfernatur«
Bianka de Waal-Schneider: Wahlkämpferin mit sportlichem Ehrgeiz