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Shitstorm nach Gaskammer-Tweet über AfD: Linken-Politikerin aus Linden fühlt sich falsch verstanden

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Von: Stefan Schaal

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Die Twitter-App ist auf dem Bildschirm eines Smartphones zu sehen.
Auf Twitter hatte die Frau aus Linden vor zwei Jahren geschrieben: „Alle AfDler gehören in die Gaskammer“. © picture alliance/dpa/Lehtikuva/Martti Kainulainen

„Alle AfDler gehören in die Gaskammer“ – das hatte eine Frau aus Linden vor zwei Jahren auf Twitter geschrieben. Nun kandidiert sie als Linken-Politikern für das Stadtparlament. Das löst einen Shitstorm aus.

Das Internet vergisst nicht. Bianca Deubel, die in Linden bei den Kommunalwahlen für die Linkspartei auf Listenplatz 2 kandidiert, bekommt das aktuell zu spüren - in Form eines bundesweiten Shitstorms.

Vor allem die AfD macht derzeit in sozialen Netzwerken auf zwei Jahre alte Aussagen Deubels aufmerksam. »Da sollte es Backpfeifen geben« und »Die Deubel-Linke hat noch nicht genug auf die Fresse bekommen«, antworten AfD-Sympathisanten in Kommentaren. Das Gießener Amtsgericht hat sich mit den Äußerungen der Lindenerin beschäftigt, Twitter hat ihren Account bis heute gesperrt.

Linken-Politikerin aus Linden im Kreis Gießen via Twitter: „Alle AfDler gehören in die Gaskammer“

Auslöser für die Reaktionen sind Aussagen Deubels am Ersten Weihnachtsfeiertag 2018. Die 47 Jahre alte Lindenerin sitzt damals vor ihrem Computer und klickt sich in sozialen Netzwerken durch Seiten von AfD-Politikern. Als sie auf Twitter Äußerungen des Sprechers der AfD Heidelberg liest, der die Weihnachtsbotschaften der beiden großen Kirchen kritisiert, antwortet Deubel mit einem folgenschweren Satz: »Alle AfDler gehören in die Gaskammer.«

Am selben Tag schreibt sie auf Twitter auch der früheren Bundestagspolitikerin Erika Steinbach, die Vorsitzende der von der AfD gegründeten Desiderius-Erasmus-Stiftung. Deubel antwortet auf einen öffentlichen Weihnachtsgruß Steinbachs: »Ich freue mich schon, wenn ich auf ihrem Grab tanzen kann.«

Ein Nachmittag im Februar 2021. Deubel, die als selbständige Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache tätig ist, sitzt zu Hause. Das Telefon ist ausgeschaltet, sie hat sich zurückgezogen. »Es fängt an, mich wieder zu belasten«, sagt sie. Kurz nach ihren Tweets Ende 2018 habe sie drei Monate lang unter nächtlichem Telefonterror gelitten. Nun kehre die Angst zurück. »Wenn ich draußen bin, passe ich auf und schaue mich um.« Die Reaktionen auf ihre Äußerungen erschrecken sie. »Ich bin ein klitzekleines Lichtchen«, sagt Deubel. »Und die machen so einen Aufstand.«

Kreis Gießen: Linken-Politikerin kandidiert für das Stadtparlament Linden und distanziert sich von dem Tweet

Naivität spricht aus ihren Sätzen, wenn sie erzählt, sie habe nicht damit gerechnet, dass ihre zwei Jahre alten Tweets vor dem Hintergrund ihrer Kandidatur für das Lindener Stadtparlament noch einmal derart hochkochen. »Ein Kollege hat mir gesagt, dass ich das Stadtgespräch bin. Das ist nicht schön.«

Dass ihre Aussagen als hetzerisch und als Aufruf zu Gewalt verstanden werden können, räumt Deubel unterdessen ein. »Davon distanziere ich mich«, sagt sie. »Ich wünsche keinem AfD-Wähler den Tod.« Sie habe die Äußerungen als Bürgerin getroffen, »die sehr aufgewühlt war.«

Sie sei missverstanden worden, betont die Lindenerin. Der Sprecher der AfD Heidelberg habe sich über Warnungen der Kirchen vor Rechtspopulismus beklagt, erklärt sie. »Dass ein Politiker den Kirchen vorschreiben will, was sie zu predigen haben, hat mich an die Gleichschaltung im Nationalsozialismus erinnert.« Sie habe daraufhin nur sagen wollen, dass AfD-Politiker zur historischen Bildung Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus und damit auch einstige Gaskammern in früheren Vernichtungslagern besuchen sollten. »Das würde ich heute deutlicher formulieren.«

Linden: Linken-Politikerin aus dem Kreis Gießen empfiehlt AfDlern den Besuch einer KZ-Denkstätte

Diese Einordnung hat Deubel über ihren Rechtsanwalt auch in einem Gerichtsverfahren vorgetragen. Nach ihrer Äußerung gegenüber dem Heidelberger AfD-Sprecher kam es zu einer Anzeige wegen Volksverhetzung, die Staatsanwaltschaft Gießen beantragte einen Strafbefehl in Höhe von 90 Tagessätzen. Das Gießener Amtsgericht sowie Deubel und die Staatsanwaltschaft einigten sich allerdings im November vergangenen Jahres auf eine Einstellung des Verfahrens ohne Auflagen. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft erklärt, man habe zugestimmt, weil die Lindenerin nicht vorbestraft ist und die Tat zum Zeitpunkt der Einstellung länger zurücklag. Außerdem, erklärt der Sprecher, hätte der Satz Deubels so verstanden werden können, »dass ein Besuch einer KZ-Gedenkstätte aus pädagogischen Gründen nahegelegt wird.«

Die Aussagen Deubels gegenüber Steinbach blieben ohne juristische Folgen. Sie habe dabei nur eine ähnliche Äußerung eines AfD-Mitglieds aufgegriffen und zitiert, erklärt die Lindenerin. Nach derartigen Äußerungen vonseiten der AfD gebe es zu selten einen Aufschrei der Gesellschaft, beklagt sie.

Shitstorm wegen Twitter-Aussage: Frau als Linden im Kreis Gießen war damals noch nicht in der Linkspartei

Den richtigen Weg, wie sie mit ihren damaligen Aussagen umgeht, habe sie noch nicht gefunden, sagt Deubel. »Ich will nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen. Aber ich will auch nicht den Kopf in den Sand stecken.« Als sie die Äußerungen auf Twitter getroffen hat, habe sie an eine Tätigkeit auf kommunalpolitischer Ebene noch nicht gedacht. Erst vor wenigen Monaten ist sie der Linkspartei beigetreten, die Linke kandidiert erstmals für das Stadtparlament in Linden. »Für meine Parteigenossen tut es mir leid«, sagt Deubel. »Da habe ich ein schlechtes Gewissen.« Ihre Kandidatur werde sie trotz aller Turbulenzen aber nicht zurückziehen.

Erstmals tritt bei den Kommunalwahlen in Linden übrigens auch die AfD an. Sollte Deubel in das Stadtparlament gelangen, würde sie dort mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf AfD-Politiker treffen. Auf die Frage, wie sie dann auf Aussagen der AfD reagieren würde, hält Deubel kurz inne. Daraufhin sagt sie: »Dann werde ich damit zurecht kommen müssen und gebührend reagieren.« Auf Provokationen wolle sie verzichten. Deubel fügt hinzu: »Das ist eine Lernaufgabe für mich.«

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