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Verfahren gegen Lindens Ex-Bürgermeister König eingestellt: Dreieinhalb Jahre Ermittlung wofür?

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Von: Stefan Schaal

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Zur Bekanntgabe der Einstellung der Ermittlungen erklärte die Staatsanwaltschaft nur: »Weitere Presseauskünfte können nicht erteilt werden.« © Harald Friedrich

Die Ermittlungen gegen den ehemaligen Bürgermeister von Linden (Kreis Gießen), Jörg König, und Planer Jörg Fischer sind eingestellt. Doch Fragen bleiben.

Linden - Nachdem die Staatsanwaltschaft bekannt gegeben hat, dass die Ermittlungen gegen den früheren Lindener Bürgermeister Jörg König und den Planer Jörg Fischer eingestellt worden sind, drängen sich Fragen auf: Warum haben die Ermittlungen mehr als drei Jahre gedauert? Und warum fällt die Entscheidung nur wenige Wochen, nachdem König nicht mehr im Amt ist?

Fischer und sein Rechtsanwalt prüfen, ob sie Schadensersatz geltend machen können.

Der entscheidende Satz steht auf Seite zehn. In dem Dokument, in dem Staatsanwältin Dagmar Lachmann die Einstellung des Verfahrens gegen den ehemaligen Bürgermeister Lindens, Jörg König, und den Planer Jörg Fischer begründet, weist sie zunächst auf einen »schweren Vergaberechtsverstoß« hin. So sei in Linden die kommunalrechtliche Pflicht, Planungsaufträge auszuschreiben, missachtet worden. Dann räumt sie ein: »Allerdings existiert eine spezielle Strafbarkeitsvorschrift, die dieses höchst problematische Verhalten unter Strafe stellt, nicht.«

„Ich bin immer von einem Jahr ausgegangen“: Ermittlungen gegen König und Fischer eingestellt

Lachmann fügt hinzu, strafrechtlich sei nur die Prüfung auf Untreue in Frage gekommen. Hierzu müsse allerdings ein Schaden entstanden sein, ergänzt die Staatsanwältin. Ein solcher könne aber nicht nachgewiesen werden.

Der Fall scheint also recht klar zu sein: Dass die Stadt Linden Bauprojekte hemdsärmelig immer wieder an dasselbe Büro wiederholt ohne schriftlichen Auftrag vergeben hat, ist äußerst kritisch zu sehen, im Rahmen eines strafrechtlichen Verfahrens aber falsch aufgehoben. Nur: Wie kann es sein, dass die Staatsanwaltschaft Gießen dreieinhalb Jahre benötigt, um zu diesem Schluss zu kommen?

»Die Länge des Verfahrens hat mir auch Sorge gemacht«, sagt Dirk Gliese, Rechtsanwalt Fischers. »Ich bin immer von einem Jahr ausgegangen.« Anfangs, nachdem an einem Donnerstagmorgen im August 2019 Beamte der Kriminalpolizei das Rathaus in Linden sowie Geschäfts- und Wohnräume Fischers auf richterliche Anordnung durchsucht hatten, habe er seinem Mandanten vermitteln müssen, warum derartige Ermittlungen auch mal sechs Monate oder etwas länger dauern können. »In der Hoffnung, dass wir viel früher zu einer Einstellung des Verfahrens kommen, haben wir nach einem Monat, Ende September 2019, eine ausführliche Einlassung vorgelegt. Unsere Hoffnung wurde leider enttäuscht.«

Ermittlungen um Ex-Bürgermeister König in Linden: „Es hat mich emotional extrem mitgenommen“

Auf Nachfrage erklärt Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger, die Ermittlungsdauer resultiere insbesondere aus der Komplexität der Materie und der damit verbundenen Notwendigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens. »Bei Wirtschaftsstrafverfahren sind umfangreiche Ermittlungen üblich und auch notwendig«, erklärt Hauburger außerdem.

Gliese berichtet unterdessen, derzeit prüfe seine Kanzlei, ob man auch vor dem Hintergrund der erheblichen Dauer der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen Schadensersatzansprüche für seinen Mandanten bei der Staatskasse geltend machen könne.

Die Ermittlungen hätten ihm das Leben durchaus schwer gemacht, sagt Fischer. »Es hat mich emotional extrem mitgenommen«, sagt er. »Ich arbeite allerdings auch mit Banken zusammen, da wird viel hinterfragt, da muss ich mich rechtfertigen. Ein wirtschaftlicher Schaden ist mit Sicherheit entstanden.«

Ermittlungen um Ex-Bürgermeister König und Planer Fischer in Linden

Er habe Aufträge verloren, sagt Fischer. Beim Verkauf eines seiner Unternehmen wäre ohne Ermittlungen gegen ihn möglicherweise ein höherer Preis herausgesprungen. Einen konkreten Auftrag oder eine Summe, die Fischer vor dem Hintergrund der Ermittlungen verloren haben könnte, nennen er und sein Anwalt nicht. »Wir sind derzeit dabei, das zu recherchieren und darzulegen«, sagt Gliese.

Er habe sich außerdem im August 2019 über die erste, 220 Seiten umfassende Ermittlungsakte gewundert. Zum großen Teil habe diese auf der Anzeige des Lindener FDP-Kommunalpolitikers Peter Reinwald gefußt, »nahezu ohne eigene Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, das fand ich sehr schlimm«.

Planer Fischer: „Ich wüsste nicht, wo ich einen Fehler gemacht habe“

Fischer und sein Rechtsanwalt machen es sich freilich etwas arg einfach, wenn sie von einer »Einstellung des Verfahrens erster Klasse« sprechen. Dass die Staatsanwaltschaft auf Unregelmäßigkeiten bei Auftragsvergaben der Stadt Linden an Fischer hinweist, »hat nichts mit Jörg Fischer zu tun«, sagt Gliese. Das sei Sache der Stadt Linden. »Herr Fischer bietet eine Leistung an und bekommt einen Auftrag.« Nur einige wenige Verträge seien mündlich geschlossen worden.

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Jörg Fischer (l.) und sein Rechtsanwalt Dirk Gliese (r.). © Stefan Schaal

Fischer erklärt: »Ich wüsste nicht, wo ich einen Fehler gemacht habe.« Auf die Frage, ob die langjährige Nähe seines Planungsbüros zur Stadt Linden denn nicht zumindest als heikel oder gefährlich zu sehen ist, antwortet Fischer: »Nähe hat den Vorteil der kurzen Wege und Entscheidungen.« Er ergänzt: »Die Nähe hat nicht dazu geführt, dass ich mich bereichert habe. Das habe ich nie getan und werde ich auch nie tun.«

Ermittlungen um Ex-Bürgermeister König: Einstellung mangels notwendigen Tatverdachts

Auf den Vorwurf, sie würden es sich zu einfach machen, entgegnet Gliese: »Es ist eine Einstellung mangels notwendigen Tatverdachts, also ohne Schuld!«

Neben der Dauer der Ermittlungen verwundert noch etwas: Kaum ist König nicht mehr als Bürgermeister im Amt, gibt die Staatsanwaltschaft wenige Wochen später die Einstellung, bekannt. Gibt es da einen Zusammenhang? »Den ermittelnden Staatsanwälten in Gießen würde ich nichts unterstellen«, sagt Gliese. »Für eine Einstellung sind sie allerdings in letzter Konsequenz nicht verantwortlich«, fügt er hinzu. »Die Staatsanwaltschaft ist eine Behörde, unterliegt einer Weisung.«

Oberstaatsanwalt Hauburger betont: »Selbstverständlich haben politische Erwägungen bei den Ermittlungen oder dem Zeitpunkt der Einstellungsentscheidung keinerlei Rolle gespielt.«

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