Arche für bedrohte Pflanzen in Hüttenberg: Neues Leben in altem Gewächshaus

2005 gingen bei der Gärtnerei Weidmann in Hüttenberg die Lichter aus. Doch in dem alten Gewächshaus herrscht weiter Leben, und es steht heute an neuer Stelle.
Hüttenberg – Am vergangenen Wochenende war Muttertag - und dementsprechend gab es lange Schlangen vor den Blumengeschäften. Einige kauften das florale Geschenk für ihre Mama jedoch günstig beim Discounter oder an der Tanke. Was einst als Affront oder Zeichen geringer Wertschätzung für die Mutter angesehen wurde, ist heute gang und gäbe.
An Muttertag spiegelt sich eine Entwicklung wider, der in den vergangenen Jahrzehnten viele Gärtnereien und Floristen zum Opfer gefallen sind. So auch die Gärtnerei Weidmann aus Rechtenbach, bei der 2005 nach mehr als 85 Jahren Familienbetriebsgeschichte die Lichter ausgingen.
Gewächshaus in Hüttenberg: Gründer führte Stadtgärtnerei in Wetzlar
Ende 1918 war’s, als die Stadt Wetzlar dem Unternehmensgründer Georg Weidmann senior anbot, die neue Stadtgärtnerei zu führen. Weidmann war zuvor Ober-Gartenmeister im Großherzoglichen Park in Darmstadt gewesen.
Die Stadtgärtnerei sollte die Bevölkerung mit Gemüse, Gartenbauerzeugnissen und Pflanzen versorgen, um »auf den Gemüse- und Blumenhandel anregend und preisregelnd einzuwirken«. Zudem wollte die Stadt durch die eigene Anzucht von Sträuchern und Bäumen für Friedhof und öffentliche Anlagen Geld sparen, weshalb 1922 eine Baumschule hinzukam.
Gewächshäuser und Frühbeetkästen wurden inklusive Verkaufshalle am Eingang des alten Friedhofs errichtet, die Baumschule an der Frankfurter Straße angesiedelt. Von 1951 bis 1973 unterhielt die Gärtnerei eine Filiale in der Wetzlarer Lahnstraße, übernahm in den 1970ern ein anderes Blumengeschäft in der Volpertshäuser Straße.
Da war das Stammhaus schon lange umgezogen. 1955 wurde klar, dass die Stadt den Pachtvertrag für das Areal am Friedhof nicht verlängern würde. Weidmann senior, der Gründer des Familienbetriebs, kaufte daher ein rund ein Hektar großes Grundstück in Groß-Rechtenbach.
1957 entstanden dort die ersten Frübeetkästen und ein Gewächshaus, in den Folgejahren wurden ein Wohnhaus und weitere Gewächshäuser sowie Beete errichtet.
Gewächshaus in Hüttenberg: Eigenanzucht wurde in den 70ern unwirtschaftlich
Die Eigenanzucht von Pflanzen war jedoch arbeits- und kostenintensiv, wurde zunehmend unwirtschaftlicher. Ab den 1970ern kaufte die Gärtnerei immer mehr Jungpflanzen und Rohware zu.
1974 übernahm Friedrich Weidmann junior den Betrieb. Er eröffnete eine Blumenstube direkt am Klinikum Wetzlar, die bis 1988 bestand,. Der Direktverkauf in Rechtenbach blieb allerdings hinter den Erwartungen zurück, wenn nicht gerade Muttertag, Ostern oder Weihnachten war. Besonders in den 1990ern sank die Zahl der Laufkundschaft, zudem war die Blumen- und Zierpflanzengärtnerei dem Wettbewerbsdruck kaum gewachsen.
Gewächshaus in Hüttenberg: 2003 Pflanzenzucht ganz eingestellt
Volker Weber vom Hessenpark kennt den Trend: »Allein in Hessen gibt es mittlerweile jährlich einen Rückgang von Gartenbaubetrieben von bis zu drei Prozent.« Während bis in die 1960er Jahre gar Schnittblumen aus Hessen, insbesondere Rosen, über den Frankfurter Flughafen verschickt wurden, ist es nun umgekehrt. Zudem bieten Baumärkte, Discounter und Tankstellen Blumen zum Billigpreis an. »Innerhalb von nur einer Generation haben sich die Wert- und Preisvorstellungen sowie die Kaufgewohnheiten der Kundschaft einschneidend in Richtung Billigprodukte verändert.«
1995 wurden Teile der Gewächshäuser und Freilandbeete an einen Gartenbaubetrieb verpachtet, 2003 wurde die Pflanzenzucht der Weidmanns ganz eingestellt. Als am 31. Dezember 2005 auch die verbliebene Filiale in Wetzlar schloss, war dies das Ende des Familienbetriebs.
Danach fiel das Areal in einen Dornröschenschlaf. Schließlich sollte die Gärtnerei einem Baugebiet für neun Wohnhäuser Platz machen. Normalerweise würde an dieser Stelle die Geschichte der Gewächshäuser enden. Doch im Fall der Gärtnerei Weidmann gab es eine Fortsetzung.
Gewächshaus in Hüttenberg: Arche für bedrohte Pflanzen
Der Hessenpark in Neu-Anspach wurde auf die alte Gärtnerei aufmerksam. Das Freilichtmuseum will nicht nur alte Fachwerkhäuser erhalten, sondern auch baugeschichtlich interessante und beispielhafte Gebäude aus den 1950er bis 1970er Jahren für die Nachwelt museal darstellen, »um auch diese Epochen für zukünftige Generationen zu bewahren«, heißt es im Leitbild.

Eine Fachfirma demontierte zwei Gewächshäuser und Frühbeetkästen in Rechtenbach, baute sie von 2018 bis 2019 in Neu-Anspach wieder auf. Die Gärtnerei war das erste Gebäude aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, das ins Freilichtmuseum umzog.
Seitdem beherbergt es eine Dauerausstellung zur Geschichte kleiner Gärtnereien in Hessen, nimmt zudem eine Archefunktion für bedrohte Nutzpflanzen ein. Diese werden im Gewächshaus und den Frübeeten kultiviert. Nicht zuletzt findet dort das museums-pädagogische Format »Junges Gemüse« statt, das sich an Grundschulklassen richtet. So ist das Rechtenbacher Gewächshaus Geschichte - und doch existiert es weiterhin und vermittelt wertvolle Geschichte im Freilichtmuseum.