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Neuer Döner-Imbiss eröffnet: Betreiber flüchtete vor Rassismus

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Von: Stefan Schaal

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Remzi Güleli zieht nach fremdenfeindlichen Vorfällen in Brandenburg in den Kreis Gießen und eröffnet dort einen Döner-Imbiss. © Stefan Schaal

Remzi Güleli lebte lange in Brandenburg. Fremdenfeindliche Vorfälle sorgen für einen Umzug in den Kreis Gießen. In Linden hat er einen Döner-Imbiss eröffnet.

Gießen - 17 Jahre lang hat Remzi Güleli einen Döner-Laden in Brandenburg betrieben, er war ein Mittelpunkt des Dorflebens, sponsorte Vereine. »Ich war dort der King«, sagt er. Wegen fremdenfeindlicher Vorfälle aber ist er nun mit seiner Familie in den Kreis Gießen gezogen und hat in Linden einen Döner-Imbiss eröffnet. Vor allem auf zwei Dinge hofft er: Sich hier zu Hause zu fühlen und mit den Gästen ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.

Der Aufwand ist gigantisch an diesem Tag im September 2019, die Worte sind kernig. »Dieser Tag markiert den Beginn einer neuen Ära«, sagt Porsche-Vorstandschef Oliver Blume, während er auf einem Flugplatz in Neuhardenberg im Osten Brandenburgs vor knapp 300 Journalisten steht, sich per Video-Schalte nach China und zu den Niagarafällen verbinden lässt und das erste richtige Elekotroauto des Herstellers vorstellt, den Taycan. Später gibt es Dankesgrüße von der Porsche-Zentrale aus Zuffenhausen nach Neuhardenberg, mit einer Anmerkung: Dem Vorstandchef habe vor allem der Döner geschmeckt.

Neuer Döner-Laden in Linden (Kreis Gießen): „In Brandenburg war ich der King“

Ein Artikel der Märkischen Oderzeitung, der davon berichtet, hängt an einer Wand in Linden. Im Döner-Laden »Ramzes Grill«. »Das macht einen stolz«, sagt Remzi Güleli, der Inhaber, der bis August vergangenen Jahres eine Döner-Gaststätte in Neuhardenberg betrieben hat. Mitarbeiter der Vorstandsetage hätten für den Porsche-Chef damals im Rahmen der Vorbereitungen der Auto-Präsentation einen Döner bei ihm geholt, erzählt er. »Dass die Gäste von Porsche waren, habe ich erst später erfahren.«

In Neuhardenberg habe er kaum Konkurrenz gehabt, sagt Güleli dann. Das gesamte Dorf sei bei ihm ein und aus gegangen. »In Brandenburg war ich der King.«

Kreis Gießen: Gastronom zieht wegen Fremdenfeindlichkeit um

Es ist ein sonniger Mittwochmorgen, kurz nach 10 Uhr. Der 39 Jahre alte Güleli, seine Frau und sein Bruder schneiden Salate, bereiten den Grill vor, dekorieren die Theke. Er vermisse einiges aus Neuhardenberg, sagt Güleli. »Die Ruhe. Die Natur. Die Seen. Ich habe mir nie Gedanken machen müssen, wo ich mein Auto parke.«

17 Jahre lang hat er dort einen Döner-Laden betrieben, der Zeitungsartikel beschreibt ihn als »Urgestein«. Sein Lokal war ein Mittelpunkt im Dorf, Güleli sponsorte die heimischen Vereine. Er bekomme immer wieder Post aus Nauhardenberg, erzählt er. »Viele beschweren sich, warum ich nicht zu Besuch vorbeikomme. Ich kenne dort so viele Menschen, so viele Lebensgeschichten.« Ein Besuch wäre mit vielen Emotionen verbunden, sagt Güleli. »Davor habe ich ein bisschen Angst.«

Die Gründe, dass er und seine Familie Brandenburg im Sommer vergangenen Jahres verlassen haben, wiegen indes schwer. Güleli erzählt von zermürbenden fremdenfeindlichen Vorfällen.

Umzug in den Kreis Gießen: Rassismus setzt Güleli psychisch zu

Anfangs verkaufte er Döner aus einem vier mal zwei Meter großen Imbisswagen heraus. In der Silvesternacht 2006 klingelte die Polizei bei ihm. In seinem Döner-Wagen sei eingebrochen worden, berichteten die Beamten. »Das war aber kein Einbruch«, erzählt Güleli. »Der Wagen war kurz und klein zerlegt worden.«

Güleli kaufte als Ersatz einen Fischmarktwagen. Zwei Wochen später eröffnete er den Döner-Imbiss wieder, doch bald wurde erneut eingebrochen, der Wagen wurde mehrfach mit Hakenkreuzen beschmiert. »Ich liebe Neuhardenberg«, sagt Güleli. Aber das werde ich nicht vergessen. Das werde ich nicht verzeihen. Ich hatte drei Jahre lang psychische Probleme.«

Im Lauf der Zeit sei Ruhe eingekehrt, die Vorfälle hätten sich gelegt. »Ich habe angefangen, mich dort zu Hause zu fühlen.« 2016 aber, in der Zeit des Flüchtlingsstroms, hätten die Vorfälle wieder begonnen. Fremdenfeindlichkeit habe er fast täglich erfahren. Einmal habe er das Auto schief einparken müssen, weil auch die Fahrzeuge daneben schief standen. »Benimm dich, du bist hier zu Gast, hat mir einer gesagt«, erzählt Güleli. »Ich habe geantwortet, dass ich nicht zu Gast bin. Ich bin deutscher Staatsbürger.«

Neuer Döner-Laden in Linden (Kreis Gießen): „Habe etwas Neues gebraucht“

Gleichzeitig kam es zunehmend zu gefährlichen Übergriffen: Unbekannte warfen Steine und Tüten mit Wodkaflaschen und Feuerzeugen in den Garten der Familie, beschädigten dabei einmal das Auto Gülelis. Auch der Verfassungsschutz habe ermittelt, »das hat aber nichts ergeben.«

Wenn man derartige Vorfälle jahrelang erlebe »und dann immer noch Ängste hat, gibt man irgendwann auf«, sagt Güleli. Er wolle die 15, elf und sieben Jahre alten Kinder mit seiner Frau behütet aufziehen. »Ich habe etwas Neues gebraucht.«

Verwandtschaft und Ruhe im Kreis Gießen

Nach Linden sei er gezogen, weil er hier Verwandte habe, erzählt Güleli. Er sei »Döner-Mann aus Leidenschaft«, sagt er. Und räumt ein: »Ich kann auch nichts anderes.« Er erzählt von den beruflichen Anfängen, als er mit 18 aus dem Osten der Türkei nach Deutschland zog, um Arbeit zu finden - und sich im Döner-Geschäft schnell selbstständig machte. »Ich war bitterarm«, sagt er. Er habe sein erstes Auto, einen Golf III, verkauft, um den Imbisswagen finanzieren zu können.

»Nachdem ich Dönerfleisch und Salat für den ersten Tag gekauft habe, hatte ich nur noch 3,50 Euro in der Tasche. Das war alles, was ich hatte.« Die Technik in dem Wagen sei uralt gewesen. »Die Sicherung ist jeden Tag zehnmal ausgefallen, weil die Fritteuse defekt war. Ich hatte auch kein Elektromesser für den Dönerspieß, nur ein normales Messer.«

Linden im Kreis Gießen: Risiko hat sich für Gastronomen gelohnt

Doch das Risiko habe sich gelohnt, das Geschäft lief. Nun, in Linden, fängt er von Neuem an. Im Oktober vergangenen Jahres hat er den Laden an der Leihgesterner Straße eröffnet. »In den ersten Wochen habe ich in Granit gebissen«, erzählt er. Der Döner-Markt sei hier härter umkämpft als in Brandenburg. Gleichzeitig mache ihm die Kostenexplosion bei Lebensmitteln zu schaffen. »Eine Preistafel hält normalerweise vier Jahre durch«, sagt er. Nun müsse er aber bereits nach einem halben Jahr die Preise anheben. »Ich habe eine neue Tafel bestellt.«

Eine Sache habe er »auch in schlimmsten Zeiten« nie bereut, sagt er am Ende des Gesprächs. »Den Schritt nach Deutschland.« In Linden hoffe er vor allem auf zwei Dinge: Sich hier zu Hause zu fühlen und mit den Gästen ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Er wolle irgendwann möglichst viele Gesichter der Menschen kennen, die sein Lokal betreten. »Ich habe keine Lust auf: Der Nächste, bitte.« (Stefan Schaal)

Das Auftreten von Fremdenfeindlichkeit geht oftmals mit Mitgliedern der rechten Szene einher, die einschüchtern wollen. Jedoch hat sich das Auftreten der rechten Szene zunehmend gewandelt.

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