Zur Premiere in Bestform

Lich (kdw). Ein herausragendes Konzert gaben am Samstag die Chöre »TAKT a cappella« und »Aqueerious« im rappelvollen Kulturzentrum Bezalel-Synagoge im Rahmen der Licher Kulturtage. Die beiden Ensembles unter der Leitung von Peter Damm bzw. Philipp Langstroff musizierten zum ersten Mal zusammen und zeigten sich in Bestform. Das Publikum war hin und weg.
Die Sängerinnen beider Chöre kommen aus dem Großraum Gießen-Marburg-Wetzlar. Die Ensembles singen alles, was ihnen Spaß macht und präsentierten einen bunten Mix von Renaissance bis Folklore und Rock- und Pop-Songs.
Den Anfang machte TAKT mit dem Titel »El Grillo« von Josquin des Prez, sehr leicht und fröhlich intoniert, der sogleich die zahlreichen Vorzüge dieses Chors hörbar machte: sehr gute bis exzellente Geschlossenheit und eine vorbildliche Transparenz machten das Zuhören zum Vergnügen: dieser Chor hatte nur darauf gewartet, wieder aufzutreten. Ihre Stückauswahl war sehr variabel. Aber gut durchdacht, zeigte sich am nächsten Titel, Joe Zawinuls »Mercy, mercy, mercy«. Der internationale Jazzklassiker wurde mit sehr guter tonaler Sicherheit realisiert und kam vollkommen stimmig und mit einem enormen Drive rüber; großer Applaus.
TAKT bekommen regelmäßig Pop- und Jazz-Titel wunderbar hin. Oder sie wagen sich an ein sehr anspruchsvolles Renaissance-Stück wie Henry Purcells »Cold song« (Cello: Esther Abel). Dessen komplexe impulshafte Struktur, etwas, womit sich ein Amateurchor leicht verheben kann, wurde tadellos realisiert. Vor allem kam die Atmosphäre des Titels gut rüber, eine besondere Stärke von TAKT. Die wird unterstützt von sehr guter Artikulation, korrekter Atmung und nicht zuletzt enormer Spielfreude. Das Publikum, das den Chor lange entbehren musste, war hingerissen.
Schwul-lesbische Themenwelt
Aqueerious begann mit einer kompetent umgebauten Fassung von Bruckners klassischem Kirchenlied »Locus iste« sehr eindrucksvoll. Schon zu Beginn machte eine Durchsage auf die Andersartigkeit aufmerksam. »Wir sind bunt, schrill und laut und so möchten wir auch musizieren«, sagte eine Sängerin. Das Bunte war klar, die Mitglieder trugen Hemden mit Aufschriften wie »Gay«, »Trans«, »Mann« oder »Schwul«. Höchst erfreulich waren die selbst geschriebenen deutschen Texte der folgenden Hits, ganz natürlich in die schwul-lesbische Themenwelt transponiert. Das gelang witzig und zumeist originell, stets war es passend umgesetzt. So etwa der Klassiker »Hit the road Jack« von Ray Charles, der mit »Nimm die Pfoten weg« und »Nein heißt nein« wirksam aufgemotzt wurde, plus Abschluss-Stampfer. Überhaupt ist der Chor beim Texten fit, die deutschen Fassungen fallen knackig und immer rund aus.
Gewisse Schwächen hat es noch bei der Geschlossenheit: Bert Bacharachs »Close to you«, den die Carpenters auf ewig als himmlisches Schmusekissen umwidmeten, kam zu wackelig. Fröhlich und mit Schmackes kam der Beatles-Kracher »Twist and shout« (»Gay and proud«). Glänzend gelang der Leonard-Cohen-Hit »Hallelujah«, der zu »Ist er schwul? Ja!« umgedichtet war und mit seinem episodischen Charakter Riesenspaß machte. Aqueerious’ Stärke sind ihre Spiellust und originellen deutschen Texte. Denen täte eine verbesserte chorische Umsetzung richtig gut, es gibt Potenzial genug. Ein strahlendes Finale gelang dann den vereinten Chören mit »Let the sunshine in«, ein richtig schönes großes Klanggeschehen. Übertroffen nur noch von dem anschließenden jazzigen.
Es folgte »Mo better Blues« von Branford Marsalis als großer vierstimmiger Gesang, der zu einem wahren, schönen Großklang wurde, stabil und rein. Viele sangen mit und die finale chorische Umrundung des Publikums war das I-Tüpfelchen fürs Wohlbehagen: Enormer Applaus entbrannte. »Es war wohl nicht das letzte Konzert der beiden Chöre«, sagte Peter Damm.