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Volksverhetzender Brief im Namen von Heimat-Kundeverein versendet

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Von: Christina Jung

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Eine Kopie des Briefumschlages, der an den HAK Lich geschickt wurde. Das Original liegt bei den Ermittlern.
Eine Kopie des Briefumschlages, der an den HAK Lich geschickt wurde. Das Original liegt bei den Ermittlern. © Tina Jung

Bei den Heimatkundlern aus Lich (Kreis Gießen) sitzt der Schock tief. Mit ihrer gestohlenen Identität hat jemand den Holocaust geleugnet. Jetzt laufen Ermittlungen.

Lich - Es ist ein weißer Briefumschlag im DIN-lang-Format, den Paul-Martin Lied von der früheren Vorsitzenden des Heimatkundlichen Arbeitskreises (HAK) Lich (Kreis Gießen) überreicht bekommt. Adressiert an den Heimatverein Euba in Chemnitz, konkret an einen Andreas Fritzsching. Versehen ist er mit einem Stempel der Deutschen Post: Zurück - Empfänger/Firma unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln. Der Absender, angeblich der HAK, steht oben auf dem Adressetikett. Die Anschrift: Bahnhofstraße 15 in 35423 Lich.

Längst ist der Verein dort nicht mehr ansässig, weil Catrin Fölger den Vorsitz an Uwe Mogk abgegeben hat. Das wusste der Verfasser offenbar nicht. Denn er oder sie gehört dem Heimtkundlichen Arbeitskreis nicht an. Er oder sie hat dessen Identität gestohlen - eine Straftat. Mehr noch. Der Inhalt des Briefes ist bedenklich - auf den ersten flüchtigen Blick vielleicht die Gedanken eines wirren Kopfes, tatsächlich aber viel mehr als das: Verschwörungstheorien, antisemitische Äußerungen, das Leugnen von Corona-Pandemie und Holocaust.

Lich (Kreis Gießen): Falsche Identität für Holocaust-Leugnung genutzt

Schon als Paul-Martin Lied das Etikett auf dem Umschlag sieht, wird er stutzig. Zum einen wegen der veralteten Adresse des HAK, zum anderen wegen des Empfängers. »Diesen Verein kennen wir nicht«, sagt Lied, seit Herbst stellvertretender Vorsitzender des Heimatkundlichen Arbeitskreises, vorher Kassenwart. Und: Da er selbst im HAK für das Etiketten-Programm verantwortlich ist, »kann ich mit 1000-prozentiger Sicherheit ausschließen, dass dieses von einem Mitglied gefertigt wurde«.

Als er die fünf doppelseitig bedruckten Blätter zu Hause genauer studiert, wird ihm schnell die Tragweite der Zeilen klar, die er in Händen hält. Hier geht es um mehr als um Identitätsdiebstahl.

Hier war ein Mensch mit einer »bizarren« Denke am Werk, die rein gar nichts mit seiner Haltung und der des HAKs gemein und zudem mutmaßlich eine strafrechtliche Relevanz hat. »Der Holocaust wird in dem Brief als Lüge dargestellt. Das hat mich sehr erschrocken«, so Lied.

Noch am selben Tag kontaktiert der Licher die Polizei in Grünberg, tags drauf fährt er persönlich in die Gallusstadt, um Anzeige zu erstatten. Dort gibt man den Fall ab nach Gießen, wo das Staatsschutz-Kommissariat übernimmt. Die zuständigen Beamten hätten das Material gesichtet, erklärt auf Anfrage dieser Zeitung Jörg Reinemer, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Mittelhessen. Fazit: regierungskritische und antisemitsche Äußerungen werden in dem nicht zustellbaren Brief verbreitet, Holocaust und die Corona-Pandemie geleugnet. Neben dem Identitätsdiebstahl steht der Straftatbestand der Volksverhetzung im Raum. »Wir haben die Angelegenheit der Staatsanwaltschaft übergeben«, so Reinemer. Dort werde nun eine rechtliche Würdigung des Falles vorgenommen.

Lich (Kreis Gießen): Heimatforscher haben Angst um guten Ruf

Beim Heimatkundlichen Arbeitskreis macht sich Paul-Martin Lied indes Sorgen, dass der Verein mit dem Gedankengut des Pamphletes in Verbindung gebracht wird: »Es wäre fatal, wenn wir der Holocaust-Leugnung bezichtigt würden«, sagt er. Auch deshalb sei er mit dem Material zur Polizei und an die Öffentlichkeit gegangen. Zudem hofft Lied, dass der Urheber des Schreibens dieses nicht an weitere Empfänger geschickt hat und wenn doch, dass diese ähnlich wie er damit verfahren sind oder es weggeworfen haben. Neben dem Rätsel um mögliche weitere Empfänger fragen sich die HAK-Mitglieder auch, warum ausgerechnet ihre Adresse benutzt wurde. Ob die Ermittlungen darauf eine Antwort werden geben können, bleibt abzuwarten. Bisher hat die Polizei keine Hinweise auf den Absender.

Übrigens: Den Heimatverein Euba gibt es zwar nicht in der Hauptstraße 77, dafür aber im Drosselsteig 2 in Chemnitz. Wer im Internet recherchiert, findet das schnell heraus. Ein Andreas Fritzsching ist heute Mitglied des Vorstandes. »Früher war er Vorsitzender«, sagt Andreas Madreiter, der dieses Amt heute bekleidet. Auch die Hauptstraße 77 stand einst im Zusammenhang mit dem Verein, der dort einmal seinen Sitz hatte. Wie jemand dazu kommt, einen Brief mit besagtem Inhalt an den Heimatverein zu adressieren, kann sich Madreiter nicht erklären. Vielleicht werden die Ermittlungen darüber Aufschluss geben. (Christina Jung)

Der Staatsschutz ist immer wieder in schwierigen Fällen gefordert. So wie beispielsweise auch im November 2021 in Gießen, als Unbekannte den muslimischen Teil eines Friedhofs verwüsteten.

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