Stimmliche Naturgewalten

Lich (mhi). Zum Konzert unter dem freien Himmel der Arnsburger Kirchenruine hatte am Sonntagnachmittag der Gießener Chor Cantamus geladen. Die Risikobereitschaft der 32 Sängerinnen und Sänger unter der Leitung von Axel Pfeiffer sollte belohnt werden: fast 400 Zuhörer kamen ins Kloster. Das »Ungewitter« war deutlich zu hören - natürlich ausschließlich musikalischer Art.
Als roten Faden bei der Auswahl der Stücke hatte sich der Chor nämlich die Naturgewalten ausgesucht. Das Ensemble erfreute folgerichtig mit einem sehr vielschichtigen Klang der Elemente. Die Bandbreite reichte dabei von der Romantik Robert Schumanns bis hin zu polyphonen Werken zeitgenössischer Komponisten wie dem »Earth Song« von Frank Ticheli, mit dem das Konzert begann. Drei Ensembles zeigten, dass der Chor auch problemlos als Männer- und Frauenchor auftreten kann.
Felix Mendelssohn-Bartholdys Werk »Im Grünen« wurde von einem zwölfköpfigen Kammerchor musiziert. Was konnten die Besucher alles während des Konzertes hören: Tropfen, Sturm, Schnee, Wasser, selbst Steine und Sterne wurden vertont. Neben den unterschiedlichen Kräften der Natur wurde aber auch deren Wirkung auf den Menschen thematisiert.
Einmalige Szenerie
Mit am meisten Eindruck hinterließ »The Tyger« von Franz M. Herzog, bei dem der Chor achtstimmig nicht die Schönheit der Natur, sondern ihre Gefahren hörbar werden ließ. Der rasende Puls und die Dynamikunterschiede forderten dem Chor viel ab, um das gewünschte Klangbild zu der Frage »Welcher Schöpfer, welcher Gott, schuf dich, der Angst gebiert und Tod?« zu erzeugen - und Gänsehaut-Momente für das Publikum.
In den vergangenen Jahren sind zahlreiche neue Sängerinnen und Sänger zum Chor Cantamus gestoßen, der mittels Online-Proben die musikalische Arbeit nie eingestellt hatte. Das aktuelle Programm hatten die Sängerinnen und Sänger jedoch erst seit April in Präsenz einstudieren können.
Nach zweieinhalb Jahren mit Online-Auftritten war die Entscheidung für ein Konzert im Freien ganz bewusst gefallen. Die einmalige Atmosphäre mitsamt den Vogelrufen passte sehr gut zum Programm; die Kirchenruine konnte ihre gute Akustik wieder einmal unter Beweis stellen.
Als nächstes Ziel hat sich das Ensemble den 15. Hessischen Chorwettbewerb im November in der Landesmusikakademie Hessen in Schlitz vorgenommen. Aus diesem Grund wird es 2022 kein Adventskonzert geben. Als Ausgleich zu dieser Nachricht erhielten die Besucher noch eine Zugabe, die sie mit Engeln in den lauen Sommerabend entließ - erfüllt von klingender Natur.