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Mosaiksteine der Geschichte

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Von: Barbara Czernek

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Uwe Wittstock © Barbara Czernek

Lich (bac). Zu einer besonderen Zeitreise lädt Uwe Wittstock in seinem Buch »Februar 33 - Der Winter der Literatur« ein. Was sich hinter diesem Buchtitel verbirgt, das erzählte er kürzlich in einem Gespräch mit dem HR2-Kulturmoderator Martin Maria Schwarz im Kulturzenrum Bezalel-Synagoge in Lich.

Jeder kennt die entscheidenden Eckdaten des Aufstiegs Hitlers 1933: Von der Machtergreifung am30. Januar bis zu den Reichstagswahlen am 5. März, aus der die NSDAP als stärkste Fraktion mit 43,9 Prozent herausging. In diesen fünf Wochen werden die entscheidenden Hebel für die kommenden zwölf Jahre umgelegt. Diesen schleichenden und brutalen Veränderungen geht Wittstock in seinem Buch nach, indem er auf die Schriftsteller aus dieser Epoche blickt. Tatsächlich liest sich die Liste der Autoren, deren Geschichten Eingang in das Buch gefunden haben, wie ein Who’s who der Schriftsteller dieser Zeit: Else Lasker-Schüler, Ernst Troller, Oskar Maria Graf, Carl von Ossietzky, Erich Maria Remarque, Gottfried Benn, die »Manns«, Erich Mühsam, Erich Kästner, Alfred Döblin, Richarda Huch und noch viele mehr.

Anhand von Briefen, Biografien, Notizen und Nachlässen zeichnet er minutiös die Lebensumstände der Künstler nach.

Er geht dabei in die Tiefe, lässt kein Detail aus. Er recherchierte beispielsweise wochenlang, ob die Fliege, die Carl Zuckmayer auf dem Presseball 1933 trug, weiß oder schwarz war. »Sie war weiß. Ich habe das passende Bild dazu gefunden.« Das musste er wissen. Der versierte Journalist konnte erst dann mit einem Fakt abschließen, wenn die Puzzlesteinchen passten.

Dafür war viel Quellenarbeit nötig, rund zwei Jahre hat er an seinem Buch gearbeitet. Herausgekommen sind Mosaiksteinchen der Geschichte, die sich zu einem großen Ganzen zusammenfügen. Wittstock nimmt seine Leser quasi an die Hand und taucht mit ihnen am Anhalterbahnhof in Berlin 1933 wieder auf und schaut den einzelnen Menschen hautnah über die Schultern.

Urteilsfreie Darstellung

Er verurteilt nicht deren Fehler, wenn der eine oder der andere es nicht wahrhaben will, dass es besser wäre zu gehen, oder diejenigen, die schnell die Seiten in Richtung NSDAP wechselten. Flankiert werden die privaten Geschichten von Fakten, die er den Zeitungen der Zeit entnommen hat. Dabei hilft auch, dass er zu jeder Person Bilder dieser herausgesucht hat und auch im Anhang beschreibt, was nachher aus ihnen geworden ist.

Diese hatte er auch für seinen Vortrag zu mitgebracht. Die junge Republik habe sich damals am Rande eines Bürgerkriegs befunden, es habe jede Menge Gewalt überall gegeben, erläuterte er. »Die Weimarer Republik bestand gerade einmal 14 Jahre. Sie war sehr fragil. Wir hingegen leben heute in eine sehr wohlhabenden Zeit. Doch was damals passierte, kann immer wieder passieren«, mahnte er eindringlich. FOTO: BAC

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