Menschen auf der Verliererseite »entwertet«
Gießen/Lich (ang). Zugunsten der drei Tafeln im Landkreis - jene in Hungen, Grünberg und Gießen - spielte am Freitag im Bürgerhaus Lich die Bigband des Landes-Polizeiorchesters unter der Leitung von Alfred Herr. Die genannten Einrichtungen versorgen 1600 Menschen in 600 Haushalten einmal in der Woche mit einem Korb voller Lebensmittel. 500 Personen stehen noch auf einer Warteliste.
Gießen/Lich (ang). Zugunsten der drei Tafeln im Landkreis - jene in Hungen, Grünberg und Gießen - spielte am Freitag im Bürgerhaus Lich die Bigband des Landes-Polizeiorchesters unter der Leitung von Alfred Herr. Die genannten Einrichtungen versorgen 1600 Menschen in 600 Haushalten einmal in der Woche mit einem Korb voller Lebensmittel. 500 Personen stehen noch auf einer Warteliste. Bürgermeister Bernd Klein stellte in seiner Grußrede fest, »dass wir in einem der wirtschaftlich reichsten Länder der Erde leben«. Er bezeichnete die gesellschaftliche Entwicklung aber als bedenklich: Wenn immer mehr Tafeln gegründet werden müssten, dann mache ihn das betroffen. Klein betonte den Wert des ehrenamtlichen Engagements, Essen dort hinzubringen, wo es hingehöre.
Prof. Dr. Horst-Eberhard Richter, ein leidenschaftlicher Unterstützer der Tafeln, war es eine Herzensangelegenheit, in Lich zu sprechen. Der 85-jährige Psychoanalytiker und Theodor-Heuss-Preisträger, Ehrenvorsitzender der »Ärzte gegen den Atomkrieg« und Schirmherr der Grünberger Tafel, erhielt außergewöhnlichen Beifall für seine Ausführungen.
Richter lobte die Arbeit als »selbstverständliche Mitmenschlichkeit«. Selbige werde heutzutage als Altbacken verhöhnt. Wer Gutmenschlichkeit verspotten müsse, tue dies »aus einem schlechten Gewissen heraus. Das Gute missfällt uns, wenn wir ihm nicht gewachsen sind!«, habe schon Nitzsche gesagt. Wohin der ungebändigte Egoismus führe, könne man an der Bankenkrise sehen. Adam Smith, Erfinder des marktwirtschaftlichen Systems, hatte noch an die Kräfte der Sympathie geglaubt. Die Gesellschaft heute werde in Gewinner und Verlierer geteilt. Wer auf der Verliererseite sei, gelte als entwertet und habe den Mund zu halten. Daher gebe es zahlreiche Menschen, die meinten, für die eigene Wertlosigkeit verantwortlich zu sein. Nicht durch Selbstverschulden, sondern »durch ein verfehltes Sozialsystem« sei es zu dieser Teilung der Gesellschaft gekommen. Die Arbeit der Tafel-Organisatoren finde auf gleicher Augenhöhe statt. Aus der materiellen Hilfe sei oft eine menschliche Beziehung geworden. Dies habe er, Richter, bei seiner Arbeit in einem sozialen Brennpunkt in Gießen mit großer Zufriedenheit erlebt. Freiwilliges Engagement dürfe einer Gesellschaft nur so lang zur Genüge sein, so lang auch in Wirtschaft und Politik mitmenschlich gehandelt werde.
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Nach mahnenden und lobenden Worten startete die Bigband mit »Take the A-Train« in einen schwungvollen Abend: Kompositionen von Duke Ellington, Glenn Miller und Count Basie wechselten einander ab. »Just a Gigolo« traf auf »I ain�t got nobody« und das Publikum wippte fleißig im Takt mit, belohnte die Soli von Tenorsaxophon, Klavier und Trompete mit Applaus. »Brasil« und »Copacabana« brachten südamerikanische Lebensfreude in die gut' Stubb von Lich. Dass die Bigband der Verbrechensbekämpfer den »Jailhouse Rock« spielte, sorgte für Schmunzeln - und für noch höhere Temperaturen im Saal. »Fatman-Boogie« und »Little Feet« des Posaunisten Peter Herbolzheimer machten vor der Pause noch einmal so richtig Spaß. Mit Volldampf holte der Zug nach Chattanooga in Tennessee die Besucher nach der Pause wieder pünktlich ab zur Swing-Zeitreise. Nummern der Rockformation Blood, Sweat and Tears, von Herbie Hancock, Herbolzheimer, Sinatra, Bennie Goodman, ein herrliches Schlagzeugsolo, gegeben von Holger Müller, und der Glenn-Miller-Ohrwurm »In the mood« machten das Bürgerhaus kurzzeitig zur »Music Hall«.