Intim, leise und anrührend
Oliver Steller war wieder einmal im Kino Traumstern. Er zeigte am Donnerstagabend gemeinsam mit Bernd Winterschladen am Saxofon sein neues Programm »Spiel der Sinne« über Dichterinnen vom Mittelalter bis in die Neuzeit vor einem vollen Kinosaal. Vor allem jedoch: es war erneut großartig. Oliver Stellers Synthese aus Dichtung und eigener Musik traf genau auf den Punkt.
Oliver Steller war wieder einmal im Kino Traumstern. Er zeigte am Donnerstagabend gemeinsam mit Bernd Winterschladen am Saxofon sein neues Programm »Spiel der Sinne« über Dichterinnen vom Mittelalter bis in die Neuzeit vor einem vollen Kinosaal. Vor allem jedoch: es war erneut großartig. Oliver Stellers Synthese aus Dichtung und eigener Musik traf genau auf den Punkt.
Das liegt zum einen daran, dass der Autor, Rezitator, Gitarrist, Sänger und Regisseur wirklich alles bis ins Kleinste genau vorbereitet. Man merkt es an der mühelos präzisen Art, wie er seine Texte vorträgt, und daran, dass alle Abläufe fließen; auch beim fabelhaften Winterschladen. Strahlend hell weiß ist die Bühne erleuchtet, die Akteure sind zu sehen wie unter einer Lupe, keine Spur vom hausüblichen schummerigen, rot verseuchten Licht. Und erst der Klang von Stimme und Instrumenten: klar, aber mild, differenziert und rund, wie es sein muss – man hört keine Lautsprecher, sondern die Musik.
Er holt ein bisschen aus bis in die Zeit, in der Frauen noch gar keine Rechte hatten, nicht lesen und schreiben durften, außer im Kloster. Den Auftakt macht Rose Ausländers »Raum II«. Dann hat er eine unbekannte Klosterautorin dabei, »Du bist min« von 1180. Steller und Winterschladen machen das zum ersten Glanzlicht des Abends, intim, anrührend, leise.
Der Saal wird völlig still, es herrscht eine besonders fokussierte Aufmerksamkeit, die Steller zu größter Form auflaufen lässt. Er spürt den Kontakt, die Ergriffenheit, ja das Engagement der Zuhörer und arbeitet damit. Steller vitalisiert die Lyrik, indem er ihr eine neue musikalische Dimension verschafft. Das Programm geht natürlich nicht so weit in die Tiefe wie bei einer einzigen Autorin, doch gibt es einen historischen, sehr wissenswerten Zusammenhang – langweilig wird es nie. Und neben den Großdichterinnen Else Lasker-Schüler oder Marie von Ebner-Eschenbach (»Wer nichts weiß, muss alles glauben«) präsentiert Steller diverse weniger und unbekannte Dichterinnen, Eva Strittmatter etwa oder Ina Seidel.
Die lässt in ihrem Titanic-Gedicht »Vor der Ausfahrt« ganz traumhaft das Schiff selbst raunen (Steller macht das toll): »Ich aber bin gewaltig und sehr schön, ich bändige das Meer und seine Tücken. Ich fahre nachts in meinem eignen Glanze, ihr müsst mich sehen, ich fliege und ich tanze.« Da schwingt die Hybris der Unsinkbarkeit, der Technikgläubigkeit, gedämpft von drohendem Unheil: »Und Demut heuchelnd murmelte das Meer, und duckte sich und leckte ihm die Flanken.« Schaurig schön.
Glanzlichter des prächtigen Abends: Christine von dem Knesebecks »Schüchternes Liebeslied« und Eva Strittmatters »Lied aus der Stille«. Insgesamt ein niemals flachsinniges Kaleidoskop – man sollte das einmal im Jahr erleben. Brausender Beifall. (Foto: kdw)