Große Wertschätzung
Lich (kdw). Zum Osterfest hat man in der Marienstiftskirche wieder ein ausgesuchtes musikalisches Programm geboten, diesmal von Johann Sebastian Bach. Die Kantorei wurde dabei in historisch informierter Aufführungspraxis begleitet, als Solist agierte Michael Roman, die Orgel spielte Eva-Maria Anton. Programmgestaltung und Leitung lagen in den kundigen Händen von Kantor Christof Becker.
Der Abend erwies sich als Wohltat.
Die Kirche war für aktuelle Verhältnisse sehr gut besucht. Unwillkürlich fragte man sich, wann man diesen Chor das letzte Mal gehört hatte, und das war, den Umständen geschuldet, eindeutig zu lange her. Schon aus diesem Anlass spürte man eine besondere Wertschätzung für dieses Konzert. Die günstige Akustik des Hauses machte die fast kammermusikalische historische Besetzung mit fünf Streichern, zwei Oboen und Truhenorgel leicht rezipierbar.
Konzentrationsfördernd für Musiker und Zuhörer war wieder Beckers betont langsame, ruhige Art des Ein- und Ausschwingens vor und nach den Stücken, die eine angemessene Ruhe vermittelte. Anschließend wechselt er stets zur lebhaften, zutiefst engagierten Interaktion mit seinen Musikern über.
Den Auftakt machte die weniger bekannte Kantate »O Jesu Christ, meins Lebens Licht« BWV 118. Das war andachtsvoll und sanft gespielt, die Musiker schwangen von Anfang an mit, und der Chor agierte klangschön, sauber und stabil. Der Rhythmus war relativ beschwingt und übertrug sich umgehend aufs Publikum, man war gleich drin im Geschehen.
Bariton Michael Roman machte mit der Arie »Komm süßes Kreuz« aus der Matthäuspassion sogleich einen guten Eindruck. Er schuf mit sehr guter natürlicher Klarheit der Artikulation und angenehm sanften Höhen eine sehr gute Präsenz. In der kleinen Besetzung war er nicht in Gefahr, überdeckt zu werden, ein glänzender kammermusikalischer Akzent. Später verschluckte ihn gleichwohl zeitweise der große Ensembleklang.
Hervorstechende Momente
Einen sehr guten Eindruck macht Organistin Eva-Maria Anton bereits mit dem ersten Orgeltitel »O Mensch, bewein dein Sünde groß«. Sie ließ das Werk ganz sanft, gleichsam in gedeckten Klangfarben und leicht gedämpften Höhen in die Kirche wehen. Mit gemessenem Tempo schuf sie eine sehr attraktive Anmut. Das war beruhigend und entspannend. Es gelang ihr auch später erneut mit »Schmücke dich, o liebe Seele«. Mal sanfter Fluss, mal leise Flächen sorgten in auflockernder Weise für die Beruhigung der Zuhörer - und sorgten für zwei hervorstechende Momente im Repertoire.
Ein besonders markanter Punkt im Programm waren die ersten fünf Teile der Motette »Jesu, meine Freude« BWV 227. Die realisierten Chor und Ensemble sagenhaft präzise, schwungvoll und fröhlich. Herausragend fokussierte Becker sein Ensemble auf einige markante Sätze (»Es ist nichts«), und ließ die mit lebendiger Dramatik geradezu ausagieren.
Sehr eindrucksvoll und packend wirkte der sakrale Glanz der Komposition, und die sehr schnellen Variationen gelangen nahezu perfekt. Insgesamt spürte - und sah - man ein großes Temperament mit souveräner Tempogestaltung: ein Höhepunkt.
Vom Gesangserlebnis her nicht ganz perfekt gelang die Kantate »Ich will den Kreuzstab gerne tragen« BWV 56. Zwar rundeten wunderbar glänzende Oboen (Jeanine Krause und besonders Alexandru Nicolescu) den Orchesterklang ab, der zudem vielfältig und abwechslungsreich realisiert war. In den Gesamtpassagen jedoch konnte sich Bariton Michael Roman wieder zeitweise nicht durchsetzen und wurde übertönt. Der Ensembleklang agierte währenddessen vorzüglich
Das geschah auch abschließend bei »Christe, du Lamm Gottes« BWV 23. Man erlebte einen großen, warmen Gesamtklang von Chor und ausgezeichnet disponierten Instrumentalisten und genoss Transparenz und Stabilität, wie man sie von diesem Klangkörper gewohnt ist. Die gute Durchhörbarkeit der Akustik begünstigte die Wahrnehmung der teils filigranen musikalischen Elemente und somit einen leichten meditativen Ansatz.
Das Publikum nahm sich einen langen Moment der Ergriffenheit, bis es reichlich und ausdauernd applaudierte.