Punkband Pussy Riot aus Russland bringt im Kreis Gießen ein Höllenspektakel auf die Bühne

Musik und Tanz einer russischen Punkband in Lich (Kreis Gießen): Am Ende gab es stehende Ovationen für die Protest-Künstlerinnen.
Lich – Russischer Punk und Solidarität mit der Ukraine: Die regimekritische russische Punkband Pussy Riot hat ihre Europatournee im Licher Kino »Traumstern« fortgesetzt. Auf der Bühne stand auch Maria Aljochina. Um auf der Tour dabei sein zu können, war sie kürzlich aus dem Hausarrest geflohen – verkleidet als Essenslieferantin.
Ein bemerkenswertes Spektakel erlebten die Zuschauer im ausverkauften Kino »Traumstern« am Dienstagabend (24. Mai). Die russische Punkband Pussy Riot gastierte mit dem Programm »Riot Days« und hinterließ mit ihrem antiautoritären Hexensabbat einen ebenso energiereichen wie nachdenklich machenden Eindruck: stehende Ovationen.
Vitalina Pucci und Karla Leisen von »künstLich« begrüßten Band und Besucher und stellten »einen anderen Blick auf Russland« in Aussicht, der dann auch kam.
Auftritt von Pussy Riot in Lich mit politischer Aussage
Maria Aljochina (Gesang), Diana Burkat (Keyboards, Drums, Sounds), Olga Borisowa (Gesang) und Anton Ponamarew (Saxofon) sind Wladimir Putin schon lange ein Dorn im Auge. Aljochina wurde erst vor Kurzem aus dem Gefängnis entlassen (2021: sechsmal inhaftiert), stand dann unter Hausarrest, entkam schließlich aus Russland und landete in Berlin. Sie habe nicht aus Russland flüchten wollen, sondern ihre neue Tour im Westen beginnen, betonte sie kürzlich. Als Zeichen ehemaliger Unterdrückung trägt sie auf der Bühne eine Zeit lang eine elektronische Fußfessel.
Der ganze Auftritt ist eine politische Aussage. Grundlage ist eine profunde Wut, die sie hinausschreien, in einem Sprechgesang, tänzerisch in einer Art marschierendem Rhythmus choreografiert. Alles ist auf Russisch, fürs westliche Publikum erläutert mit englischen und deutschen Texten über den Bildern, die hinter der Band auf der Leinwand laufen.
Pussy Riot: Musikalischer Auftritt mit Bildern aus Russland hinterlegt
Musikalisch ist es ein Mix aus Sprechgesang, Perkussion und elektronischen Sounds, Saxofonist Anton Ponamarew gerät da etwas ins Hintertreffen. Zunächst wundert man sich noch über die Energie, die aus den Frauen strömt – sie sind praktisch ununterbrochen in tanzmarschierender Bewegung –, doch bald bewirken die Bilder und Informationen, dass man diese Wut immer besser verstehen kann, während einem die Ohren ordentlich zugedröhnt werden.
Ein Rausch von Bildern über Verhaftungen, Demos, Putin mit und ohne Kirchenfürsten, Schlagzeilen gegen Frauenfeindlichkeit (»Priesterinnen gibt es in Russland nicht, in Russland gibt es Pussy Riot«), mutige Aussagen im Angesicht des mächtigen Regimes (»dass es völlig unmöglich ist, vor diesen Menschen Angst zu haben«) und dem Bekenntnis »Wir sind verpflichtet, Russland zu verändern«.
So grundsätzlich und ernsthaft vertreten in Russland wenige ihre politischen Überzeugungen, es wäre für die meisten schlicht leichter gewesen, vor der Staatsmacht davonzulaufen oder einfach zu resignieren. Diese vier Punkkämpfer haben stattdessen den schweren Weg gewählt und sie schaffen es sogar, eine gewisse Zuversicht in ihr Handeln zu bringen, Respekt.
Auftritt in Lich (Kreis Gießen): Pussy Riot haben vor niemandem Angst
Die Show ist aber auch eine künstlerische Aussage: die eingeblendeten Comicszenen aus dem Gerichtssaal verleihen der politischen Lage eine absurde, lächerliche Qualität und passen sehr gut zu den begleitenden tänzerischen Aktionen der Band, die gelegentlichen kakofonischen Einlagen vermitteln sehr gut die üblen Zeiten, die in Russland gerade herrschen. Da kann man nicht wirklich böse sein, wenn Borisowa ein paar Flaschen Wasser ins Publikum spritzt. Unterdessen wird im Publikum ein Transparent mit der Aufschrift »Fuck Putin« hochgehalten – konkrete Solidarität.
Die Stimmung ist teils ein wenig ausgelassen, ein bisschen wird am Rand auch getanzt, der stabile Rhythmus macht es leicht. Überwiegend jedoch betrachten die Menschen das Höllenspektakel mit aufmerksamer Sympathie, während Pussy Riot die Geschichte ihres Lebens und ihres Landes erzählen und man sich wundert, wie viel unfreiwilligen Respekt sie dem Regime abgerungen haben. Sie haben wahrlich alles versucht, um gehört und bekannt zu werden, traten in Kathedralen auf und auf Demos, legten sich mit allen Autoritäten an und scheinen tatsächlich vor nichts und niemandem Angst zu haben.
Einnahmen des Auftritts von Pussy Riot für Ukraine gespendet
Maria Aljochina und ihre Freunde sind bewundernswert engagierte Kämpfer für die Freiheit in Russland und der Ukraine und Botschafter der konkreten Verhältnisse. Zugleich sind sie geschickte Medienkünstler, die ein zwar parteiliches, aber bemerkenswert prägnantes und ganz seriöses Bild der Lage transportieren. Und sie müssen ungeheuer viel Kraft besitzen, um diese schweißtreibende Performance hinzubekommen.
Das Publikum im »Traumstern« applaudiert ihnen schließlich mit stehenden Ovationen. Die gesamten Einnahmen des Abends spenden Pussy Riot für einen guten Zweck, unter anderem einem Kinderkrankenhaus in der Ukraine. (red)
Millionen Menschen sind seit Ausbruch des Krieges aus der Ukraine geflohen. Die Hälfte davon sind Kinder. An der Erich-Kästner-Schule leistet man ganz konkrete Hilfe: Den Kindern soll nun wieder etwas Normalität im Alltag geboten werden. Doch dabei steht die Schule vor bürokratischen Hürden.