Eigene Sprache, eigene Dynamik

Lich (bac). »Mit Mathematik habe ich es nicht so«: Das gab Thomas Hettche zu Beginn seines literarischen Gesprächs mit Sven Görtz am Sonntag im Kino Traumstern unumwunden zu. Der Grund zu dieser Äußerung lag in dem Titel der Lesung, der da lautete »6x Anfang - Thomas Hettche liest aus seinen Romanen«. Das war insofern falsch, weil er mittlerweile sieben Romane verfasst hat und natürlich sämtliche in dem Gespräch mit Görtz vorstellen wollte.
Hettche - in Staufenberg-Treis geboren - gehört heute zu den bedeutendsten Autoren der Gegenwart, hat etliche Preise und Stipendien gewonnen und seine Bücher stehen regelmäßig auf der Shortlist des Buchhandels. Insgesamt kam bei dieser Matineevorstellung ein höchst amüsantes und wissenswertes Gespräch zwischen zwei Literaturkennern heraus, bei dem keine Langeweile aufkam.
Chronologisch ging Hettche bei der Vorstellung seiner Romane vor, beginnend mit dem 1989 erschienen Erstlingswerk »Ludwig muss sterben«, das er mit 24 Jahren schrieb. »Heute sehe ich in dem Buch vor allem das, was ich damals nicht konnte.« Damals hätten viele seiner Freunde Medizin studiert und bei ihm hätte sich eine Faszination für die Anatomie breitgemacht, einer Leidenschaft, die er noch bei weiteren Büchern frönte.
»Ich versuche, bei jedem Buch eine eigene Sprache und Dynamik zu entwickeln«, erläuterte er zu seinem zweiten Werk, dem 1995 erschienen Buch »NOX«. Da versucht er, das Gefühl des Mauerfalls in seiner eigene Sprache einzufangen. »Ich war dort, habe die Euphorie gespürt, aber auch viel Angst und Unsicherheit. In den späteren Berichten über diese Tage wird aber nur über die Freude berichtet. Das habe ich zum Teil anders wahrgenommen.«
Märchenhafte Geschichte
Seinen Durchbruch feierte der Autor 2001 mit dem Roman »Der Fall Arbogast«. Hettche taucht in das hinlänglich bekannte Genre des Kriminalromans ein, nimmt diese Form auf und erfindet sie für sich neu. »Wenn ich schreibe, dann denke ich daran, wie diese Figuren in den Köpfen der Leser lebendig werden sollen, da ist es mir völlig egal, ob sie zum Schluss in irgendein Genre passen.«
Doch Hettche bleibt nicht beim Krimigenre stehen, denn 2006 veröffentlicht er im Stile der amerikanischen literarischen Road-Movies das Werk »Woraus wir gemacht sind«. In dem 2010 erschienen Buch »Die Liebe der Väter« wiederum verarbeitete er ein Stück persönliche Geschichte, die dadurch noch mehr beeindruckt, dass sie in der Ich-Perspektive geschrieben wurde. »Ja, es war sehr spannend für mich zu sehen, wie nah man einen Stoff auch an sich selbst heranlässt«, sagte er in Lich.
Wieder eine ganz neue Sprache erfand er in »Pfaueninsel«, ein Buch, das den Leser in das 19. Jahrhundert mitnimmt. Die Insel, in der Spree gelegen, mag Hettche sehr. Er stieß durch Zufall auf den Grabstein seiner Protagonistin, die dort lebte. »Vielleicht habe ich mir ein Stück kindliche Neugier bewahrt, denn ich dachte mir: Wie kann ihr Leben ausgesehen haben?« Der Roman beginnt mit den Worten: »Alles ist Märchen oder nichts«.
Dies kann auch über seinem jüngsten Werk »Herzfaden« (2020) stehen: Es beschreibt die manchmal fast märchenhaft anmutende Geschichte der Entstehung der Augsburger Puppenkiste und der Familie Oehmichen.
Im Laufe der Jahre hat der Autor Hettche seine Erzählkunst verfeinert, dennoch bleibt er immer überraschend. Sein Stil ist es, sich immer neu zu erfinden. So erhält jedes seiner Bücher seinen eigenen Rhythmus und Stil, ist dank der Sprachgewandtheit immer wieder als ein Werk von ihm erkennbar.
Mit Sven Görtz, selbst geschätzter Literat und Songwriter, war bei der Veranstaltung im Rahmen der Licher Kulturtage ein hochkarätiger Moderator dabei, der mit Hettche ein Gespräch auf Augenhöhe führte. Diesem Duo kann man noch häufiger zuhören, wenn es über Literatur plaudert.