Der nächste Schritt auf dem Weg ins Weltall

Lich (us). »Fragile« steht auf dem kleinen, grauen Paket. Es hat eine lange Reise hinter sich. Von Deutschland nach Florida, zum Kennedy Space Center der NASA und von dort wieder zurück. Allein elf Tage lang wanderte es beim Zoll in Frankfurt von einem Sicherheitscheck zum nächsten, bis es wieder wohl behalten an seinem Ausgangspunkt landete: der Dietrich-Bonhoeffer-Schule in Lich.
Dort wird es von den Schülern der Weltraum-AG gehütet wie ein wertvoller Schatz. Das kleine Paket enthält, in Einzelteile zerlegt, einen Cubesat, einen zehn mal zehn Zentimeter großen Minisatelliten.
Läuft alles nach Plan, wird er in diesem Jahr vom Kennedy Space Center seinen Weg in den Weltraum antreten. Die Licher Schüler wären die ersten in ganz Europa, die einen Satelliten ins All geschickt haben. In 500 Kilometern Höhe soll der Würfel, der mit einer widerstandsfähigen Aluminiumhülle und einem Sonnensegel ausgestattet ist, seine Runden drehen und Daten sammeln, die die Weltraum-AG für Experimente nutzen will.
Der Mann hinter dem spektakulären Projekt heißt Bernhard Krenig. Er ist Physiklehrer und hat die Reise des Cubesat ins All mit seinen Schülern von langer Hand vorbereitet. Seit zwei Jahren treffen sich die Mitglieder der Weltraum-AG viermal wöchentlich in verschiedenen Kleingruppen. Mittlerweile wissen sie, dass Wissenschaft ein diffiziles Geschäft ist und einen langen Atem erfordert.
Ehe sie ihren Cubesat zum Qualifying an die NASA schicken konnten, haben sie viel über Satelliten und deren Innenleben gelernt. Winfried Senger, ein pensionierter Elektro-Ingenieur mit langjähriger Uni-Erfahrung, hat ihnen gezeigt, wie man Sensoren, Platinen, Akkus, Mikroprozessoren und eine Kamera millimetergenau zusammenbaut.
Aber das war längst nicht alles. Die Fünft- bis Zehntklässler mussten auch ein Unternehmen finden, das ihren Satelliten ins Weltall befördert. Vor allem aber musste die Finanzierung des Projekts gestemmt werden, dessen Kostenrahmen Krenig vornehm umschreibt: »Ein gut ausgestatteter Mittelklassewagen.«
Nach ungezählten Anträgen, Telefonaten und Mails hatten die Schüler die Summe Ende 2022 annähernd zusammen. Doch 9000 Euro fehlten noch. Dass die Lücke mittlerweile geschlossen ist, haben sie einer Stiftung zu verdanken und der Gießener Landrätin Anita Schneider. Die hatte von dem Projekt in der Zeitung gelesen und sich daraufhin um Sponsorengelder bemüht. »Sie hat sich von sich aus bei uns gemeldet«, erzählt Krenig fast ein bisschen erstaunt. »Wenn eine Schule das schier Unmögliche anstrebt, dann muss man das unterstützen«, entgegnet Schneider. Insbesondere wenn es um ein Projekt geht, das das Interesse an Naturwissenschaft und Technik fördert. »Die MINT-Fächer sind dem Landkreis Gießen wichtig.«
Schneider war am Donnerstag vor Ort, als die Weltraum-AG ein bisschen ehrfürchtig und geschützt mit Handschuhen und Hauben die Retoure von der NASA auspackte. Ihr Minisatellit hat das Qualifying bestanden. Zwei bis drei Monate werden ins Land gehen, bis der Satellit, der den Namen »Pax Mundi«, also »Weltfrieden«, trägt, wieder zusammengebaut und synchronisiert ist. »Wir können garantieren, dass wir den Satelliten so vorbereiten, dass er starten kann«, sagt Krenig. Aber ein Datum für die weite Reise ins All kann er nicht nennen. Wie unsicher so ein Raketenstart ist, hat der Pädagoge im November am eigenen Leib erlebt. Auf eigene Kosten war er nach Florida geflogen, um den Cubesat höchstpersönlich fürs Qualifying abzuliefern. Als VIP nahm er am geplanten Start der Space X 26-Mission teil.
Nur gut drei Kilometer von der Startrampe entfernt harrte er auf einer Holztribüne aus, um dann zu erleben, dass die Prozedur kurz vor dem Countdown gestoppt wurde. Die Wetterbedingungen stimmten nicht. Seinen Schülern in der Weltraum-AG hat er vermittelt, dass es keine Gelinggarantie gibt. »Das ist ein Flug ins Weltall und keine Taxifahrt von Lich nach Gießen«, sagt Adriana lakonisch. Und Lio aus dem fünften Schuljahr zählt auf, was alles so passieren kann: Fehlstarts, technischer Defekt oder auch ein Meteoriteneinschlag.
Doch egal, wie das Experiment ausgeht: Die Jugendlichen haben schon jetzt profitiert. Der Landrätin und ihrem Schulleiter Peter Blasini berichteten sie ausführlich, was sie in der AG gelernt haben. Präzise zu arbeiten, Anträge zu schreiben, Verträge zu schließen, wie ein Wissenschaftler vorzugehen. Und, ganz wichtig: »Spaß zu haben trotz Ungewissheit.«