Ausschuss blockiert sich selbst
Lich (us). Alle wollen Bürgerbeteiligung. Aber mit der Umsetzung dieses Wunsches tut sich die Licher Politik schwer. Seit einem halben Jahr liegt der Entwurf der Bürgerbeteiligungscharta auf dem Tisch. In diesem Frühjahr sollte er von der Stadtverordnetenversammlung verabschiedet werden. Letztmöglicher Termin, um dieses selbstgesteckte Ziel zu erreichen, wäre die Parlamentssitzung am 18.
Mai. Doch der Haupt- und Finanzausschuss, der den Beschluss am Mittwoch vorbereiten sollte, blockierte sich selbst.
Nach zwei Patt-Abstimmungen gab es weder eine Empfehlung für einen Änderungsantrag des Mehrheitsbündnisses aus BfL, Grünen und FDP noch für die Charta selbst. Einzig die CDU konnte an diesem Abend punkten. Der von Markus Pompalla erläuterte Änderungsantrag, dass Sitzungen des Beteiligungsbeirats grundsätzlich öffentlich stattzufinden haben, wurde mit breiter Mehrheit angenommen.
Der Streit um das Logistikzentrum an der Langsdorfer Höhe hat der Licher Politik die Notwendigkeit vor Augen geführt, die Bürger früher in politische Entscheidungen einzubinden. Die 26 Seiten starke Charta, die unter Begleitung der Beratungsgesellschaft ifok von einem Arbeitskreis und einem sechsköpfigen Redaktionsteam entwickelt wurde, soll die Spielregeln für den künftigen Dialog festlegen.
In Gießen war man noch ein Stück weiter gegangen: Dort trat 2015 vor dem Hintergrund des Streits um die Landesgartenschau eine Bürgerbeteiligungssatzung in Kraft. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat sie vor vier Monaten gekippt; die Satzung muss nun nachgebessert werden.
Rechtliche Prüfung gefordert
Den Lichern soll so etwas nicht passieren. »Die Charta trägt in Teilen satzungsähnliche Züge«, sagte Nathalie Burg (FDP) und regte »vor dem Hintergrund der Probleme in Gießen« im Namen des Mehrheitsbündnisses eine rechtliche Überprüfung an. Bürgermeister Dr. Julien Neubert widersprach vehement. Bei der Charta handele es sich weder um eine Satzung noch eine Geschäftsordnung, der Beteiligungsbeirat fungiere lediglich als Hilfsorgan der Stadtverordnetenversammlung. »Es gibt kein direktes Antragsrecht, am Ende hat die Stadtverordnetenversammlung den Hut auf«, sagte er. Die Rechtskonformität der Charta habe man während des gesamten Prozesses im Blick gehabt. Wozu solle man jetzt also noch die Kommunalaufsicht fragen? »Dann warten wir neun Monate auf eine Antwort.«
Von Kommunalaufsicht sei keine Rede, entgegnete Dr. Annette Gümbel (Grüne). Es gehe um eine Prüfung durch einen Fachanwalt. »Es wäre fatal, wenn wir die Charta erst verabschieden und sie anschließend nicht anwenden können«, warnte die Stadtverordnete der Grünen. FW-Sprecher Josef Benner appellierte, die Charta zunächst einmal zu verabschieden. »Dann hätten wir eine endgültige Fassung, die geprüft werden kann.« Weil Ausschussvorsitzender Stefan Hammer sich der Stimme enthielt, wurde der Antrag des Mehrheitsbündnisses mit 4:4 Stimmen abgelehnt. Mit dem gleichen Abstimmungsergebnis scheiterte auch der Entwurf der Charta. »Ohne rechtliche Prüfung können wir nicht zustimmen«, begründete Armin Neumann von den Grünen. Der Bürgermeister war hörbar genervt: »Ich verstehe es nicht. Hier wird gegen etwas gestimmt, was wir alle wollen. Warum kommt diese Forderung erst jetzt?« Antwort von Nathalie Burg (FDP): »Weil es jetzt um die Entscheidungsfindung in den städtischen Gremien geht.«
Weil die Charta keine Zustimmung gefunden hatte, wurde auch ein zweiter Punkt von der Tagesordnung genommen: Über die Gelder für die Einstellung eines Beteiligungskoordinators wurde am Mittwoch nicht abgestimmt. Wenigstens dieser Beschluss war einstimmig.