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Kreis Gießen: Spezialisten sollen im Sachsensee nach Leichenteilen suchen

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Von: Ursula Sommerlad

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Die Polizei soll im Sachsensee nahe Hungen nach den sterblichen Überresten von Daniel M. suchen.
Die Polizei soll im Sachsensee nahe Hungen nach den sterblichen Überresten von Daniel M. suchen. © Lars Benedict Hoppe

Wer Ruhe sucht, kann sie am Sachsensee finden. Der einstige Tagebau liegt gut geschützt zwischen Bäumen, aber doch nahe der Landstraße, die Bellersheim mit dem Trais-Horloffer Kreuz verbindet. Wurden hier die sterblichen Überreste von Daniel M. versenkt? Diese Frage soll nun im Prozess um einen »Mord ohne Leiche« geklärt werden.

Gießen/Hungen – Den Tag, an dem seine Welt zerbrach, kann Helmut M. genau benennen: den 17. November 2016. An jenem Donnerstag verschwand sein Sohn. Verzweifelt suchten die Eltern, die in Hanau leben, nach dem damals 39-Jährigen, zu dem sie eine enge Bindung hatten. Erst mehr als drei Jahre später erhielten sie Gewissheit. Daniel lebt nicht mehr. Er wurde an jenem dunklen Novembertag des Jahres 2016 in einem Kleinwagen auf einer Hofreite bei Hungen ermordet. Die beiden Tatverdächtigen, der 45 Jahre alte Lehrer Olaf C. und dessen einstiger Studienfreund Robert S., müssen sich seit April vor der 5. großen Strafkammer des Landgerichts Gießen verantworten (hier der Bericht zum vorigen Prozesstag). Dass Daniel getötet wurde, bestreiten sie nicht. Doch wer hat die tödlichen Schüsse abgegeben? Diese Frage konnte im Prozess auch nach zehn Monaten noch nicht geklärt werden. Die beiden Angeklagten schieben sich gegenseitig die Schuld zu.

Robert S., der vor Gericht hartnäckig schweigt, hat sich im Frühsommer 2020 bei der Polizei geäußert und behauptet, Leichenteile in Eimern einbetoniert und im Starnberger See versenkt zu haben. An dieser Darstellung bestehen inzwischen erhebliche Zweifel. Jetzt ist das Gericht einem Beweisermittlungsantrag der Nebenklage gefolgt. Spezialisten des Polizeipräsidiums Gießen sollen den Sachsensee bei Bellersheim, auch Barbarasee genannt, nach den sterblichen Überresten von Daniel M. absuchen. Ein Termin dafür steht nach Auskunft von Staatsanwalt Thomas Hauburger noch nicht fest. Eine ähnliche Aktion hat es im Frühsommer 2020 schon einmal gegeben, damals am Starnberger See. Dorthin waren die Ermittler in Begleitung des Tatverdächtigen S. per Hubschrauber geflogen, um Spuren zu sichern. Doch so sehr sich die Taucher auch abmühten: Sie fanden nichts.

Kreis Gießen: Verdächtiger Hobbytaucher hatte Sachsensee bei Hungen in Logbuch

Rechtsanwalt Alexander Hauer, der Vertreter der Nebenklage, ist überzeugt: Die Schilderungen von Robert S. sind nicht plausibel. Vor allem die Zeitabläufe und die Witterungsverhältnisse zum Zeitpunkt der Tat im November 2016 passten nicht zusammen. Deshalb sei dringend die Frage zu klären, ob die einbetonierten Leichenteile nicht in unmittelbarer Tatortnähe versenkt worden sind.

In seiner Anordnung ist das Gericht nun der Argumentation der Nebenklage gefolgt. Laut der Vorsitzenden Richterin Regine Enders-Kunze gibt es einige Anhaltspunkte, die für eine Suche im Sachsensee sprechen: Das Gewässer liege nicht weit vom Tatort entfernt, zudem sei das Gelände nicht bebaut und vor Blicken geschützt.

Möglicherweise kannte sich Hobbytaucher Robert S. dort aus. Er wohnte zeitweise in der Nähe und sein Tauchlogbuch, das er allerdings erst seit 2018 führte, nennt neben anderen Gewässern auch den bis zu 35 Meter tiefen Sachsensee/Barbarasee. Wie sehr die hochbetagten Eltern des ermordeten Daniel M. unter der Ungewissheit über den Verbleib ihres Sohnes leiden, geht aus einem weiteren Antrag der Nebenklage ans Gericht hervor. Helmut M. spricht darin von dem »Drama, dem wir seit fünf Jahren ausgesetzt sind« und verweist dabei ausdrücklich auf das Schweigen der Täter.

Kreis Gießen: „Mord ohne Leiche“-Prozess geht im Februar weiter

Am ersten Verhandlungstag im neuen Jahr hörte das Gericht endlich einen Zeugen, der bereits zwei frühere Termine hatte platzen lassen. Der arbeitssuchende Mittzwanziger aus dem Vogelsberg kennt Robert S. aus der U-Haft. Im Herbst 2020 teilten sich die beiden für einige Wochen eine Zelle. Man habe sich damals ein wenig angefreundet, berichtete er, und er habe den Haftbefehl des anderen lesen dürfen. Robert S. habe zudem auch Passagen aus seiner Akte zitiert, sonst aber nicht viel erzählt. »Nur, dass er es nicht war.« Man könne ja wohl nicht so blöd sein, einen Mord im eigenen Auto zu begehen. Davon, dass S. die Leiche zersägt und die Teile beseitigt haben soll, will der Zeuge keine Kenntnis erlangt haben. Überhaupt: Man habe nicht nur über die Tat geredet, sondern auch über andere Dinge. Robert S. habe erwähnt, dass ihm das Radfahren im Freien fehle und dass er seine Mutter schrecklich vermisse.

Ursula S., die als Verwandte von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht, war zwischenzeitlich selbst in den Fokus der Ermittler geraten. Sie hatte Gartengeräte auf einer Autobahnraststätte entsorgt. Beim Landeskriminalamt wurde das Werkzeug einer DNA-Analyse unterzogen. Das Ergebnis, das Vorsitzende Enders-Kunze nun verlas: Auf keinem der Asservate konnten Spuren von Blut, Haaren oder Gewebe festgestellt werden. Der Prozess wird im Februar fortgesetzt.

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