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Sehnsucht nach Identität und Freiheit

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Julia Wadhawan in Laubach. © Doris Schütte

Laubach (dis). Mehr Besucher hätte die Lesung mit Julia Wadhawan im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Laubach lädt ein« im Rathaussaal verdient gehabt, denn das Thema war interessant und auch Bürgermeister Matthias Meyer trug dazu eigene Gedankengänge bei. Die Autorin (Jg. 1987) wuchs in Bad Camberg, auf; sie lebt in Hamburg und arbeitet als freie Journalistin.

Ihr Buch »Sag mir nicht, wer ich bin« beschäftigt sich mit der Sehnsucht nach Identität und Freiheit.

Oft werde sie auf die korrekte Aussprache ihres Namens und nach ihrer Herkunft wegen der dunklen Hautfarbe angesprochen - das, so sagte sie, empfinde sie als »reine Neugierde«. Wadhawan schreibt Texte für Zeitungen und Magazine, produziert Radiofeatures und moderiert Veranstaltungen. Ausgebildet wurde sie unter anderem an der Georg von Holtzbrink-Schule für Wirtschafts-Journalisten, sie wurde mit dem Ferdinand Simoneit-Nachwuchspreis Online (2015) und dem Titel »Fachjournalistin des Jahres 2017« ausgezeichnet. Als Medienbotschafterin und Stipendiatin des European Journalism Centre war sie in Indien und Bangladesch.

Fragen an den Vater

Wadhawans Vater kommt aus Indien, »nur« Inder will er keiner sein, »denn reine Inder gibt es gar nicht«, sagt er. Zu Hause spricht er Deutsch, liebt Schnitzel und gibt seiner Tochter zu verstehen: »Du bist nicht indisch.« Doch das sehen nicht alle so. Zwischen den Zuschreibungen der anderen entwickelt Julia eine Abneigung gegen jede Form von Gruppenzugehörigkeit, bis sie als Journalistin nach Indien reist und das Land sie zwingt, sich zu positionieren. Entlang von Hautfarbe, Religion und Herkunft zeigt die Autorin globale Strukturen auf, die unsere Selbst- und Fremdwahrnehmung mehr bestimmen als die Nationalität.

Wadhawan ging auch auf das indische Kastenwesen ein. Zwar darf nach der indischen Verfassung von 1950 kein Inder wegen seiner Kaste diskriminiert werden, doch die Realität sieht anders aus. Die Religion des Hinduismus, die in Indien ihren Ursprung hat und der über 80 Prozent der indischen Bevölkerung angehören, bezieht sich stark auf die Varnas und die rituelle Reinheit, die einzelnen Kasten zugewiesen wird. Auch Menschen anderer Religionen werden von den Hindus in dieses System eingeordnet.

Eingegangen wurde auch auf die schier unzähligen Sprachen Indiens, die verschiedenen Sprachfamilien angehören. Die indische Regierung zählte 2011 insgesamt 121 Sprachen - so gibt es keine Nationalsprache für die indische Republik. Etwa 425 Millionen Menschen sprechen Hindi als Muttersprache. Wadhawans Buch ist ihr Plädoyer für Gemeinsamkeit und gegen die drohende gesellschaftliche Spaltung. Oft wurde sie von ihrem Vater gefragt, warum sie so viel über Indien schreibt. Die Fragen in ihrem Buch richten sich an ihren Vater, der aus Dehli stammt. Ihre deutsche Mutter kam im Alter von zehn Jahren aus Oberschlesien nach Westdeutschland.

Wadhawan las drei Abschnitte aus ihrem Buch vor, die beispielhaft für die von ihr angesprochenen Themen waren und einen aussagekräftigen Einblick in ihre Gedanken vermittelten. Im Anschluss an ihre Lesung traten zahlreiche Besucher in einen Dialog mit der sympathischen Autorin, die sich bereitwillig den Fragen stellte. Buchhändlerin Janina Gerschlauer war mit einem Stand vertreten, an dem man Bücher der Autorin erwerben und anschließend signieren lassen konnte. FOOTO: DIS

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