XXXXXXXXXXL-Mode im Kreis Gießen: „Sie überwinden Bodyshaming-Ängste“

Bis Größe zehn XL: Im Kaufhaus Schwalbach in Laubach gibt es Mode in Übergröße. Die Nachfrage steigt laut dem Geschäftsführer.
Laubach – Hosen, Hemden und Shirts gibt es im Kaufhaus Schwalbach in Laubach bis zur Größe XXXXXXXXXXL. Neben Arbeits- und Militärkleidung hat sich der Laden auf Kunden spezialisiert, die länger, breiter und schwerer als der Durchschnitt sind. Geschäftsführer Björn Hofmann beobachtet, dass die Nachfrage nach Übergrößen steigt und Kunden zunehmend Ängste vor Demütigungen überwinden: »Die Menschen werden mutiger«, sagt er.
Ein Kaufhaus in Laubach hat sich auf Mode in Übergröße spezialisiert
Wer das Kaufhaus Schwalbach im Zentrum Laubachs betritt und durch den Laden schlendert, erkennt nach wenigen Sekunden: Ein solches Bekleidungsgeschäft gibt es im Kreis Gießen kein zweites Mal. Das Funktionale steht hier im Vordergrund. Und die Nische.
Bundeswehrunterwäsche liegt in Regalen, daneben hängen bis zu 1,80 Meter lange Gürtel, etwas weiter hinten steht ein riesiges Angebot an Gummistiefeln und Arbeitsschuhen. Hosen gibt es hier in 40 unterschiedlichen Maßen, bis Konfektionsgröße 68 und darüber hinaus - wie Shirts, Hemden, Kleider und Blusen bis zu XXXXXXXXXXL. Das Kaufhaus hat sich auf Übergrößen spezialisiert.
Mode in Übergröße: Im Kaufhaus Schwalbach in Laubach gibt es Kleidung bis Größe XXXXXXXXXXL
Björn Hofmann läuft durch sein Kaufhaus. Der Geschäftsführer zeigt auf eine Wand, an der Wanderschuhe stehen. Während der Pandemie sei die Nachfrage stark gestiegen, sagt er. »Das wird auch nicht abebben.«
Für einen Moment bleibt der 38 Jahre alte Hofmann vor zwei Regalen stehen, in denen US-amerikanische Süßigkeiten und Steaksaucen aufgereiht sind. Das sei ein Versuch gewesen, in der Zeit des Lockdowns mit einem Lebensmittelangebot den Laden weiter öffnen zu können, erklärt er. »Es hat nicht so ganz geklappt«, fügt er hinzu. Laut Gesundheitsamt, erzählt er, hätten die Lebensmittel ein dominierendes Sortiment darstellen müssen. »Versuch macht klug«, sagt Hofmann und zuckt mit den Schultern.
Mode bis Größe zehn XL: In einem Kaufhaus in Laubach gibt es Kleidung in Übergröße
Übergrößen würden mehr und mehr gefragt, berichtet er dann. Die Entwicklung, dass die Menschen immer übergewichtiger werden, könne er bestätigen. Gleichzeitig, sagt er, trauen sich Übergewichtige zunehmend, seinen Laden aufzusuchen und dort Kleidung anzuprobieren. »Sie überwinden Bodyshaming-Ängste. Sie werden mutiger.« Hofmann ergänzt: »Erst bei Übergrößen ab XXXXXXL mit sechs X bleiben die Leute eher zu Hause und bestellen online.«
Viele Kunden, erzählt Hofmann, schätzen ihre tatsächliche Konfektionsgröße falsch ein. Mit 30 Prozent sei die Rücksendequote bei den Online-Bestellungen allerdings im Vergleich zu anderen Versandhäusern relativ niedrig.
Seine Mitarbeiter im Kaufhaus ermutige er zu Ehrlichkeit. »Wenn etwas unmöglich aussieht, sagen wir das, mit Feingefühl. Dann kommen die Kunden auch wieder.« Die Mode für Übergrößen sei in den vergangenen Jahren allerdings ansprechender geworden. »Auch Jogginghosen sind keine Kartoffelsäcke mehr.«
XXXXXXXXXXL in Laubach: Die Nachfrage nach Mode in Übergröße ist laut Geschäftsführer gestiegen
70 Prozent der Kunden seien Männer, berichtet Hofmann. »Viele Männer kaufen aber grundsätzlich ungern ein, die sehe ich hier vielleicht einmal im Jahr.« Auch daher sei ein großes Sortiment wichtig, damit die Kunden bei dem einen Besuch Kleidung für sich und ihre Größe finden. Auf einer Fläche von 500 Quadratmetern stehen, liegen und hängen in dem Laden knapp 50 000 unterschiedliche Artikel.
Denkbar klein hingegen, mit einer Handvoll Artikel, hat Hofmanns Großvater vor gut 70 Jahren das Geschäft begründet. Der Gonterskirchener Otto Schwalbach fuhr kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs mit dem Fahrrad über die Dörfer und verkaufte Kleidung, die er im Gießener US-Depot erworben hatte. Kontakte hatte er dort als Arbeiter bei der Verlegung von Gleisbetten für die US-Amerikaner geknüpft.
Bald darauf begründete Schwalbach einen der ersten Spar-Märkte in der Region, den Verkauf von Bekleidung führte er parallel fort. Über einen Händler in Hanau hatte er Kontakt zur Firma Levi’s. Der Legende nach war Schwalbach der erste in der Region, der Jeans verkaufte. Dies brachte ihm einen Spitznamen ein, der vielen Laubachern noch heute geläufig ist: »De lang Lähwis«.
Neben Militärkleidung setzt Björn Hofmann in seinem Geschäft in Laubach auf Mode in Übergröße
Schließlich, bei einer Zwangsversteigerung, kaufte er 1961 das Gebäude in der August-Krieger-Straße. Schwalbach selbst war 1,92 Meter, seine Schuhgröße war 51. Auch aus eigener persönlicher Erfahrung setzte er neben Militärkleidung auf Übergrößen. Hofmann, gelernter Bankkaufmann, stieg 2008 in das Geschäft ein, nachdem sein Opa angekündigt hatte, allmählich aufhören zu wollen. Einige Jahre arbeiteten sie gemeinsam in dem Kaufhaus, 2012 starb der Großvater.
Den Geschäftssinn hatte Hofmann früh bewiesen: Mit 17 bereits hatte er Handyverträge verkauft, damals hatten seine Eltern die Gewerbeanmeldung mit unterschreiben müssen.
In der Pandemie scheiterte zwar Hofmanns Versuch, sich mit US-Lebensmitteln über Wasser zu halten. Doch er entdeckte ein anderes Steckenpferd: Geschäftskunden. Arbeitgeber geben ihren Mitarbeitern Berechtigungsscheine, um in dem Laden in Laubach beispielsweise drei Arbeitshosen, eine Jacke und ein Paar Sicherheitsschuhe oder ein bedrucktes Polohemd zu kaufen. »Einmal im Monat rechnen wir mit dem Arbeitgeber ab.«
Laubach: Das Kaufhaus Schwalbach verkauft Kleidung in Übergröße bis zehn XL
Im Lager des Kaufhauses stehen 2000 Paar Arbeitsschuhe. Mit dem Schwerpunkt der Geschäftskunden habe man trotz Lockdown das Kaufhaus aufrechterhalten können. »Wo andere Läden den Schlüssel umgedreht haben, ist der Betrieb bei uns weitergelaufen, wenn auch auf Sparflamme.«
Ein Hauptkunde sei die geschlossene Psychiatrie in Gießen an der Licher Straße. Vor elf Jahren seit dort ein Mann mit zwei Metern Bauchumfang und einer Lkw-Plane um die Hüfte eingeliefert worden. »Wir haben für ihn Unterwäsche anfertigen lassen.« Seitdem beliefere Hofmann die Psychiatrie fast wöchentlich. »Katalogversender liefern solche Adressen nicht an.«
Das Geschäft habe sich in den vergangenen sieben Jahrzehnten stark gewandelt, sagt Hofmann. Anfangs haben Landwirte zu den wichtigsten Kunden gezählt. »In den 50er Jahren hatten 80 Prozent der Leute noch direkt was mit Landwirtschaft zu tun.« Heute machen sie drei Prozent der Kundschaft aus. Übergrößen, Militärbekleidung, Outdoor-Mode - das Kaufhaus hat immer wieder gelernt, einen Markt zu erkennen, neue Nischen zu finden. »Als ich hier angefangen habe, dachte ich: Wer kauft denn Hosenträger?«, sagt Hofmann. Doch derartige Schlüsse dürfe man eben nicht nur aus seiner eigener Position heraus ziehen. »Wir verkaufen heute weit über 1000 Paar Hosenträger im Jahr.«
Ein anderes traditionsreiches Geschäft im Kreis Gießen schließt nun seine Pforten. (Stefan Schaal)