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Gefeierter Paketbote: Warum Matthias Reuter in Langgöns herzlich verabschiedet wird

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Von: Stefan Schaal

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Als Matthias Reuter, seit zehn Jahren Paketbote in Langgöns (Kreis Gießen), ankündigt, aufzuhören, reagieren seine Kunden mit emotionalen Nachrichten.

Langgöns – Wehmut und Rührung stehen Matthias Reuter ins Gesicht geschrieben, als er vor wenigen Tagen vor einer Eisdiele im Langgönser Ortsteil Lang-Göns im Kreis Gießen Halt macht. Ja, gesteht er, er habe mit den Tränen gekämpft. »Es war schwer.« Den halben Tag ist er schon im Ort unterwegs. Um sich zu verabschieden. Reuter öffnet eine Tüte, die er in der Hand hält. Sie ist voller Geschenke, gefüllt mit Schokolade, Süßigkeiten und Dankeskarten, die er in den vergangenen Stunden bekommen hat. »Du wirst uns sehr fehlen«, steht auf einer der Karten geschrieben.

Wer die Karten und die herzlichen Nachrichten liest, könnte auf einen Abschied unter Freunden oder Kollegen schließen. Doch Reuter ist ein langjähriger Paketbote und spaziert durch Lang-Göns, um seinen Kunden, die er zehn Jahre beliefert hat, Ade zu sagen. »Ich halte mit vielen noch mal ein Schwätzchen, ich habe heute schon einen Kaffee nach dem anderen getrunken«, erzählt er. Vor dem Hintergrund, dass es zwischen Paketboten und Kunden eher selten zu einer solchen Herzlichkeit kommt und dass die Lieferung von Briefen und Paketen durch oftmals wechselnde Zusteller für gewöhnlich anonym abläuft, ist die Abschiedstour des 39 Jahre alten, in Staufenberg lebenden Reuter bemerkenswert.

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Auf seiner Abschiedstour durch Langgöns im Landkreis Gießen wurde der Zusteller Matthias Reuter reich beschenkt. © Stefan Schaal

Gefeierter Paketbote in Langgöns im Kreis Gießen: »Ich bin ja auch Vater«

Es sind außerdem nicht nur einige wenige, die ihm Danke sagen. Als Reuter vor ein paar Wochen via Facebook ankündigt, dass er »schweren Herzens« aus gesundheitlichen Gründen aufhört, erhält er Dutzende emotionale Antworten. »Alles Liebe für Sie und behalten Sie sich Ihr gutes Herz, das findet man heute nur selten«, kommentiert eine Frau. Sie werde sehr vermissen, wie Reuter »freundlich winkend« durch das Dorf gefahren sei, schreibt ein Langgönser.

Auf die Frage, welche Nachricht ihn am meisten berührt hat, hält Reuter für einen Moment inne. Eine Familie, berichtet er, habe sich bedankt, »dass ich mal an der Tür geklopft und nicht geklingelt habe, um die Kinder nicht zu wecken«. Reuter wusste damals, dass die Familie Zwillinge bekommen hatte. »Ich bin ja auch Vater«, sagt er. »Ich weiß, wie froh man ist, wenn die Kinder schlafen.«

Die Anekdote gibt einen Hinweis darauf, wie es zu dem herzlichen Verhältnis zwischen dem Paketboten und seinen Kunden in Langgöns gekommen ist: Durch große Freundlichkeit, zudem geht Reuter auf die Persönlichkeiten und die Wünsche der Kunden ein. »Wenn ich ein Express-Paket für Frau Beppler privat hatte und es war niemand zu Hause, habe ich es ihr in den Laden, ins Modehaus, gebracht«, sagt Reuter.

Paketboten stehen oftmals unter enormem Stress. Es gibt in Deutschland kaum einen Beruf mit einem höheren Krankenstand.

Hoher Krankenstand bei Paketzustellern

Paket- und Postboten sind deutlich häufiger krank als Berufstätige in anderen Branchen. Laut der Krankenkasse Barmer fehlten im Jahr 2019 von 1000 Beschäftigten im Zustellerberuf täglich 70 krankheitsbedingt. Im Durchschnitt aller Berufsbranchen waren nur 50 von 1000 Beschäftigten täglich krankgeschrieben. (dpa)

Gefeierter Paketbote in Langgöns im Kreis Gießen: »Das verursacht Stress«

Es komme darauf an, wie man sich die Arbeit gestaltet, sagt indes Reuter. »Pakete, die ich nicht liefere, muss ich am nächsten Tag loswerden. Das verursacht Stress.« Er habe sich die Routen so gestaltet, dass er es am Nachmittag auf der Rückfahrt bei Kunden, die morgens nicht zu Hause waren, noch mal probieren konnte. Im Kontakt mit Kunden habe er zudem 600 Genehmigungen zum Abstellen der Pakete gesammelt, das habe geholfen. Dennoch zollt er dem Job nun Tribut. »Es ist der Zeitpunkt, an dem ich aufhören muss. Wegen meines Rückens.« Er sei zu seinem Chef gegangen und habe gesagt: »Ich bin ehrlich, ich kann es gesundheitlich nicht mehr.«

14 Jahre hat Reuter als Paketbote für DPD gearbeitet, zehn Jahre als Zusteller in Langgöns. Vorher war er für das Unternehmen Hermes tätig. »Das war brutal, zu viel, es war Ausbeutung.« Als er die Firma gewechselt habe, habe er dann das Dreifache verdient. »Bei DPD habe ich für 90 bis 100 Kunden am Tag Pakete gefahren, das war okay.« Unter guten Bedingungen seien 2000 Euro netto im Monat drin.

Über 3,3 Millionen Pakete bearbeitet: Mehr als 3,3 Millionen Pakete haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der mechanisierten Zustellbasis Langgöns im Jahr 2022 bearbeitet.

Einen neuen Job hat Reuter bereits. Er bleibt in der Logistikbranche, wird aber mehr im Büro arbeiten, wird Bestellungen annehmen und sie verpacken. Farben und Lacke werde er verschicken. »Ich habe einen höhenverstellbaren Schreibtisch«, sagt Reuter. »Und einen wirbelsäulengerechten Stuhl«, fügt er lächelnd hinzu. »Es ist herrlich.« Es werde entspannter werden, sagt der Vater zweier Kinder. Den neuen Job hat er durch einen Kontakt unter seinen Kunden als Paketzusteller gefunden. Durch Zuverlässigkeit und Freundlichkeit. (Stefan Schaal)

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