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Seniorin aus dem Kreis Gießen beklagt knappe Hilfsangebote: „Ich will ein Stück Lebensqualität“

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Von: Stefan Schaal

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»Hier sieht es aus wie in einer Messie-Wohnung«, räumt Monika Seifert ein. Unsauber ist es hier wohlgemerkt nicht. Allerdings rappelvoll. Die Pohlheimerin ist aus ihrem großen Elternhaus in eine kleine Wohnung auf dem Grundstück umgezogen. Weil sie nach zwei Hüftoperationen nicht mehr so gut laufen kann, steht in der zweistöckigen Wohnung alles im Erdgeschoss. © Stefan Schaal

Eine Seniorin aus Pohlheim bräuchte unter anderem bei der Wohnungssuche Unterstützung. Die Anbieter solcher Dienstleister suchen Personal.

Pohlheim – Eine 71 Jahre alte Pohlheimerin benötigt nach einem Wohnungsumzug Hilfe - und erkennt, dass das als Seniorin gar nicht so einfach ist. Der Fall lenkt die Aufmerksamkeit auf die Frage, welche Angebote es im Kreisgebiet für Ältere gibt, die zwar keine Pflege, aber ein wenig Unterstützung in ihrem Alltag brauchen.

Monika Seifert zwängt sich durch den engen Flur, an Stühlen, Körben und Kleiderständern vorbei, dann nimmt sie auf ihrem Bett Platz. »So habe ich noch nie gehaust«, sagt die 71 Jahre alte Pohlheimerin und schüttelt den Kopf. »Hier sieht es aus wie in einer Messie-Wohnung«, fügt sie hinzu. Unsauber ist es hier wohlgemerkt nicht. Allerdings rappelvoll.

Kreis Gießen: Seniorin beklagt fehlende Hilfe

Sie habe ihr Elternhaus in Watzenborn-Steinberg verkauft, erklärt sie. Der Käufer habe ihr zugesichert, dass sie im vorderen Teil der Hofreite zur Miete wohnen bleiben könne. »Er hat dann alles aus dem Haus in diese kleine Wohnung gestellt.« Weil sie nach zwei Hüftoperationen nicht mehr so gut laufen kann, habe die Schwägerin in der zweigeschossigen Wohnung alles nach unten ins Erdgeschoss gebracht. »Es ist jetzt so voll hier, dass ich mich kaum bewegen kann.«

Die Seniorin ist in ihrer Mobilität zwar eingeschränkt, Treppen steigen zum Beispiel fällt ihr schwer. Dennoch ist sie noch halbwegs rüstig. Kürzlich habe sie sich ein Auto gekauft, erzählt sie. Ihre Einkäufe könne sie problemlos und ohne Unterstützung erledigen. Seifert ist kein Pflegefall, ihren Alltag bewältigt sie. Und doch ist die Seniorin in eine Situation geraten, aus der sie alleine nicht mehr herauskommt. Sie braucht Hilfe. Sie will umziehen, eine neue Wohnung finden. »Ich will ein Stück Lebensqualität.« Die Pohlheimerin hat in den vergangenen Wochen festgestellt, dass es gar nicht so einfach ist, Hilfe zu bekommen.

Keine Hilfe der Familie: Pohlheimerin braucht Unterstützung bei der Wohnungssuche

Der Vermieter habe sie angelogen, sagt sie. »Er hat versprochen, dass in das große Haus ein ruhiger Mieter einziehen wird. Jetzt sind dort aber mehr als ein Dutzend Leute, es ist ständig Halligalli.« Von ihrer Familie fühlt sich die Frau im Stich gelassen. Drei Monate lang war eine gesetzliche Betreuerin für die Pohlheimerin zuständig. »Sie hat sich nicht gekümmert«, sagt Seifert. »Sie hat mich nur per WhatsApp gefragt, warum ich keine Wohnungsanzeigen durchforste.« Die Seniorin weiß nicht mehr, an wen sie sich wenden soll. Sie bräuchte eine Person, die sie etwas begleitet und an die Hand nimmt, neben ihr sitzt und hilft, wie sie beispielsweise online nach Wohnungen Ausschau halten kann. »Ich habe noch nie eine Wohnung suchen müssen«, sagt sie. Die Situation löse Stress bei ihr aus. »Gerade war ich wegen einer Gürtelrose im Krankenhaus.«

Der Fall macht aufmerksam auf Fragen, die sich zahlreiche Senioren im Gießener Land stellen dürften: Welche Hilfen gibt es im Kreisgebiet für ältere Menschen, die keine Pflege, sondern hin und wieder lediglich ein wenig Unterstützung in ihrem Alltag brauchen?

Im Landkreis Gießen gibt es mehrere Anbieter für haushaltsnahe Dienstleistungen

Ein erster Ansprechpartner ist die Beratungs- und Koordinierungsstelle für ältere und pflegebedürftige Menschen in der Stadt und im Landkreis Gießen (BeKo). Wer auf deren Internetseite stöbert, entdeckt immerhin 20 Anbieter sogenannter haushaltsnaher Dienstleistungen im Kreis. Sie bieten unter anderem Hilfe beim Einkaufen, Gartenarbeit und Putzdienste an.

Der Eindruck eines üppigen Angebots für Senioren aber täusche, erklärt Christina Keißner von der BeKo. Die Nachfrage sei riesig. »Aber das Angebot reicht bei Weitem nicht aus.« Grund sei vor allem ein Personalmangel bei den Dienstleistern. Wer derartige Unterstützung in Anspruch nehmen will, lande auf langen Wartelisten. Sie rate daher dazu, sich bei mehreren Dienstleistern anzumelden.

BeKo als erster Ansprechpartner

Für Senioren, die nach Angeboten und Unterstützung suchen, eignet sich die Beratungs- und Koordinierungsstelle für ältere und pflegebedürftige Menschen in der Stadt und im Landkreis Gießen (BeKo). Sie vermittelt Kontakte beispielsweise zu Pflegediensten, ehrenamtlichen Helfern sowie zu Gesprächskreisen und Seniorencafés. Hilfreich sind auch Seniorenbüros und die Gemeinwesenarbeit. »Wir sind gut vernetzt, haben einen guten Überblick«, sagt Isabel Stühn, die die Gemeinwesenarbeit in Pohlheim und Linden koordiniert. Auch der Seniorenbeirat sei ein geeigneter Ansprechpartner.

Dienstleister im Kreis Gießen suchen nach Personal

Die Knappheit bei den Angeboten habe sich seit der Reform der Pflegeversicherung 2017 zugespitzt. Seitdem können Menschen mit Pflegegrad 1 auf das Angebot zurückgreifen und dafür monatlich bis zu 125 Euro bei der Pflegekasse abrechnen, vorher hatten sie darauf keinen Anspruch. Die Art dieser niedrigschwelligen Unterstützung von Senioren sei indes äußerst sinnvoll, betont Keißner. »Menschen werden eben in der Regel nicht von jetzt auf gleich hilfsbedürftig«, sondern allmählich, schrittweise. Wenn Dienstleister Einkäufe erledigen oder Fenster putzen, könne das für Ältere eine große Unterstützung bedeuten.

Die hohe Nachfrage, die sie bei Weitem nicht komplett bedienen können, bestätigen Dienstleister wie Vidolife aus Biebertal. »Wir suchen deshalb auch intensiv nach Personal«, sagt Julian Kuplewatzky, Projektleiter. In 95 Prozent der Fälle gehe es um Putztätigkeiten, bisweilen auch um Spaziergänge mit Senioren. Derartige Dienste kosten rund 25 bis 32 Euro pro Stunde. Wohnungssuche und eine Umzugshilfe würden sie eher nicht übernehmen, zumal die Pflegekasse dies nicht zahlen würde. Gespräche, Ratschläge und Ermutigung gehören jedoch zum Angebot.

Kreis Gießen: Umzug ist für die Seniorin „ein Berg“

Seifert, die Pohlheimerin, sitzt draußen vor ihrer Wohnung auf einem klapprigen Holzstuhl. Sie hat sich einen Schallschutzkopfhörer über die Ohren gesetzt und schaut auf die verkehrsreiche, laute Gießener Straße. Sie wolle umziehen. »Aber die Aufgabe ist ein Berg für mich.« (Stefan Schaal)

In Pohlheim feierten die Natur- und Vogelfreunde Garbenteich gerade erst ihr 50-jähriges Bestehen.

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