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Keine räuberische Erpressung?

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Von: Ursula Sommerlad

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Seit über einem Jahr wird um einen »Mord ohne Leiche« vor der Fünften Großen Strafkammer des Landgerichts Gießen verhandelt. Nun ließ ein rechtlicher Hinweis der Staatsanwaltschaft aufmerken.

Seit mehr als einem Jahr stehen Olaf C. Und Robert S. vor Gericht. Sie sollen am 1. November 2016 auf einer Hofreite bei Hungen ihren Kumpel Daniel M. erschossen und dessen Leiche beseitigt haben. Die Anklage lautet auf gemeinschaftlich begangenen Mord in Tateinheit mit räuberischer Erpressung mit Todesfolge. Vor diesem Hintergrund ließ ein rechtlicher Hinweis von Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger in der Verhandlung am Donnerstag aufmerken. Auch Paragraph 239, Absatz 4 StGB, nämlich Freiheitsberaubung mit Todesfolge, sei in Betracht zu ziehen. »Es geht nicht um einen neuen Anklagepunkt«, machte Hauburger deutlich. Es gehe lediglich um eine andere tateinheitliche Bewertung.

Die Verteidiger der beiden Angeklagten bewerten Hauburgers Hinweis anders. »Das ist keine Lappalie«, betonte Michael Baitinger, der gemeinsam mit Damir von der Heiden Robert S. vertritt. »Wir verhandeln hier seit über einem Jahr. Wir müssen mit unserem Mandanten länger über die prozessualen Konsequenzen beraten.« So sei es durchaus denkbar, dass der Angeklagte sich anders verhalten hätte, wenn der rechtliche Hinweis früher erfolgt wäre. Baitinger spielte damit auch auf verschiedene Briefe an, die im Verfahren immer wieder eine Rolle spielten. Robert S. hat sie aus der Untersuchungshaft unter anderem an seine Mutter und die Vorsitzende des Gerichts geschrieben. Er hat sich darin despektierlich über die hoch betagten Eltern des Opfers geäußert, die im Prozess als Nebenkläger auftreten, und ihnen vorgeworfen, wichtige Tatsachen verschwiegen zu haben.

Die Angesprochenen wollen darauf nicht reagieren. »Er ist ein Menschenschlächter. Die Nebenkläger sehen sich nicht in der Lage, mit ihm zu kommunizieren«, heißt es in einer Erklärung, die Rechtsanwalt Alexander Hauer verlas.

In seinen Briefen überzieht der Angeklagte zudem Polizei und Staatsanwaltschaft mit Hohn und Spott. Sein Vorwurf: Die Ermittlungsbeamten hätten simple Fakten nicht berücksichtigt oder falsch wiedergegeben, und die Staatsanwaltschaft habe derart schlecht recherchierte Fakten in ihre »nicht sehr intelligenten Anklageschrift« übernommen.

In diesem Zusammenhang kam die Sprache auf das Handy des Opfers, das seit der verhängnisvollen Nacht im November 2016 verschwunden ist. In einem Brief an die Vorsitzende Richterin erwähnt Robert S., dass es ausgeschaltet gewesen sei, und zwar komplett, nämlich »Akku raus«. Olaf C., der zweite Mann auf der Anklagebank, wies darauf hin, dass S. mit diesem Satz Täterwissen offenbare.

Aber ist das wirklich so? Der Oberstaatsanwalt hakte nach. Nach Erinnerung von C. hat Robert S. nach der Tat und der Rückkehr aus Hungen Kleidung und auch Handy in einer Tüte eingesammelt. C. sagt, er sei gezwungen worden, das Mobiltelefon abzuwischen. Er erinnert sich auch, dass es ausgeschaltet wurde. Aber hat er es geöffnet und den Akku herausgenommen? Daran kann sich der Gymnasiallehrer, der seit bald eineinhalb Jahren in Untersuchungshaft sitzt, nicht mehr erinnern. Wie schon bei früheren Aussagen kündigte Rechtsanwalt Baitinger einen Verwertungswiderspruch an. Hintergrund: C. lässt nach seinen Einlassungen grundsätzlich keine Nachfragen der gegnerischen Verteidigung zu.

Anfang des Jahres hatte es noch so ausgesehen, als ob ein Urteil Ende Mai gesprochen werden könnte. Davon ist nun nicht mehr die Rede. Es gibt Prozesstermine bis Ende Juni.

Trotz Bedenken der Verteidiger wird kommenden Dienstag weiter verhandelt. »Der 10. Mai bleibt aufrechterhalten«, entschied Vorsitzende Richterin Regine Enders-Kunze. Eigentlich wollte sich an diesem Tag der Angeklagte Olaf C. erneut äußern. Ob er das vor dem Hintergrund des rechtlichen Hinweises der Staatsanwaltschaft auch tatsächlich tun wird, ließ seine Verteidigerin Dr. Iris Passek offen.

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