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Sauerei! Immer weniger Schweine kommen aus der Region

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Von: Constantin Hoppe

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Gestiegene Kosten und viel Bürokratie machen Schweinehaltern im Landkreis Gießen zu schaffen. (Symbolbild) © dpa

Die Schweinebetriebe im Kreis Gießen befinden sich in einer Krise. Ein Grund ist der niedrige Preis für Fleisch.

Kreis Gießen – Die Situation der Schweinezüchter im Kreis Gießen ist schwierig. Immer mehr Auflagen und gestiegene Produktionskosten sorgen dafür, dass viele Betriebe aufgeben und die Zucht einstellen. Nicht mal mehr zehn Prozent des Schweinefleisches im Kreis kommt noch aus der Region.

Anfang der 1990er Jahre waren sie noch ein typischer Anblick in Bauernhöfen: kleine Schweineställe mit wenigen Tieren. Ein bis zweimal im Jahr gab es eine Hausschlachtung auf dem Hof mit dem örtlichen Metzger. Dieser bot im eigenen Laden zudem Fleisch und Wurst der Tiere aus dem angrenzenden Schlachthaus an. Gelebte Regionalität.

Kreis Gießen: Zahl der gehaltenen Schweine sinkt

Heute befindet sich die Schweinezucht in einer Krise. Immer mehr Betriebe werfen das Handtuch, die Zahl der gehaltenen Schweine sinkt. Das Fleisch kommt in Plastik verpackt aus dem Supermarkt, meist aus dem Ausland nach Deutschland transportiert.

„Mittlerweile liegt die Selbstversorgung mit Schweinefleisch im Kreis Gießen schätzungsweise nicht einmal mehr bei zehn Prozent“, sagt Hans-Martin Mühling. Der Landwirt aus Bellersheim ist Vorsitzender der hessischen Erzeugergemeinschaft Schlachtvieh Mittelhessen. Zu seinem Betrieb gehört auch die Schweinemast - wie lange diese noch existieren wird, ist unsicher: „Wir leben von Tag zu Tag. Planungssicherheit gibt es nicht.“

Noch 196 Betriebe im Kreis Gießen: Schweinezucht schrumpft merklich

Anfang der 2000er Jahre hielten 335 Betriebe im Kreisgebiet 23.332 Schweine. 2016 gab es im Landkreis noch 196 Schweinebestände mit 10.593 Tieren. Hessenweit sieht es ähnlich aus: Allein im Jahr 2021 sank die Zahl der Schweinehalter um 13,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Eines der Hauptprobleme sind die gefallenen Preise: Für Schweinehalter sei es quasi nicht mehr machbar, kostendeckend zu arbeiten, sagt Mühling. Die Pandemie war da der größte Einschnitt. Viele Schlachthöfe waren wegen Corona zu, Exporte nicht mehr möglich.

Auch im Kreis Gießen: Preisdruck wegen der Pandemie

Die Folge waren volle Lager und Schweine, die in den Ställen blieben. Das drückte die Preise. Zusätzlich wurde im Herbst 2020 die afrikanische Schweinepest bei Wildschweinen in Deutschland nachgewiesen – daraufhin stoppten viele Länder den Import von Schweinefleisch aus Deutschland. Seitdem kämpfen die Züchter um ihre Betriebe.

„Die Krise läuft seit anderthalb Jahren, die Preise sind massiv eingebrochen“, berichtet Daniel Seipp, Vorsitzender des Bauernverbandes Gießen/Wetzlar/Dill. »Gleichzeitig werden den Bauern für die Tierhaltung immer höhere Standards vorgesetzt. Aber die Politik ist nicht bereit, die Landwirte bei der Umstellung zu unterstützen.«

Billiges Fleisch ist ein Problem: Im Kreis Gießen bekommen Betrieben gut 60 Cent zu wenig fürs Kilo

Im vergangenen Jahr lag der Preis, den Schweinezüchter für ihre Tiere bekommen konnten bei 1,20 Euro pro Kilogramm - erst ab 1,80 Euro wäre ein kostendeckendes Arbeiten möglich gewesen. Die Erzeuger mussten ihre Tiere mit Verlust verkaufen. „Viele Betriebe haben in dieser Zeit einen sechsstelligen Betrag verloren“, sagt Seipp. Mittlerweile seien die Preise zwar auf etwa 1,90 Euro pro Kilogramm gestiegen, angesichts von explodierenden Energie- und Futterkosten in Folge des Ukraine-Krieges wären jedoch 2,40 Euro für ein kostendeckendes Arbeiten nötig, erklärt Seipp.

Hinzu kommt die Erklärung eines Discounters, der vor Kurzem ankündigte, nur noch Frischfleisch der Haltungsformen drei und vier zu verkaufen. Das bedeutet, die Tiere haben mehr Platz und eine reine Stallhaltung ausgeschlossen ist. Gut fürs Tierwohl, aber gleichzeitig sollen die niedrigen Preise erhalten bleiben.

Kreis Gießen: Aufgeben für einige naheliegender als tiergerechte Haltung

„Kein Schweinehalter wird seinen Stall umbauen, wenn er dadurch nicht mehr Geld bekommen kann“, sagt Seipp. „Zumal die meisten ihre Rücklagen aufbrauchen mussten.“ So denken immer mehr Betriebe gar übers Aufgeben nach: Laut Umfrage der Interessengemeinschaft der Schweinehalter will jeder zweite Betrieb in den nächsten zehn Jahren die Arbeit einstellen.

Davon berichtet auch Mühling, der vor allem die Politik in der Pflicht sieht: „Uns als Tierhaltern werden immer mehr bürokratische Hürden in den Weg gestellt. Mittlerweile könnte sich bei uns eine Vollzeitkraft um die Büroarbeit kümmern, wenn wir uns das leisten könnten.“ Jeder Arbeitsschritt müsse dokumentiert und analysiert werden, seien es Tierbestände, Salmonellentests, Ferkelankauf, Medikamentengabe oder Schädlingsbekämpfung.

Kreis Gießen: „Der Landwirt macht immer alles falsch“

Hinzu kommt für Mühling das schlechte Bild, das oft von den Landwirten gezeichnet wird: „Der Landwirt macht immer alles falsch, könnte man meinen. Das belastet viele meiner Kollegen.“ Dabei sei gerade die Tierzucht besser als ihr Ruf: „Für eine gute Landwirtschaft braucht man eine abwechslungsreiche Fruchtfolge. Dazu gehören auch Futtermittel. Und es ist doch gut, wenn man diese nicht ungenutzt wegwirft.“

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Besserung könnte für Mühling nur ein Umdenken schaffen: „Die Politik müsste aufhören, immer mehr Hürden für die Landwirte aufzustellen.“ Zusätzlich müsste eine Rückbesinnung zur Regionalität gelingen. „Regional erzeugtes und vermarktetes Schweinefleisch hat einen guten CO2 -Fußabdruck.“ Dafür müsste aber an vielen Stellschrauben justiert werden: „Es geht nicht nur um die Landwirte“, sagt Mühling. „Es gibt auch immer weniger Metzgereien auf dem Land und noch weniger, die selbst schlachten.“(Constantin Hoppe)

Zuletzt sorgte im Wald abgeladener Sondermüll für Ärger im Kreis Gießen.

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