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Im Zentrum steht der TSV

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Von: Patrick Dehnhardt

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Herbert Röhrich ist seit nun bald 41 Jahren Vorsitzender des TSV Oberkleen. Genauso lange lebt er schon im Nachbardorf Niederkleen, wo auch die TSV-Holzbank steht, die ihm zum 40-jährigen Vorstandsjubiläum geschenkt wurde. FOTO: PAD © Patrick Dehnhardt

Seit gut vier Jahrzehnten ist Herbert Röhrich Vorsitzender des TSV Oberkleen. Er hat Urkunden und den Landesehrenbrief erhalten. Doch eine viel größere Auszeichnung sei es für ihn, wenn ein Team oder ein Sportler des Vereins einen Erfolg feiert, sagt er. Denn dann habe der TSV Oberkleen für optimale Rahmenbedingungen gesorgt.

Ich war nie ein großer Handballer«, erinnert sich Herbert Röhrich an die Zeit, als er in der Jugendmannschaft der SG Kleenheim spielte. »Aber ich war immer dabei.« Damals konnte er noch nicht ahnen, dass er einmal über 40 Jahre an der Spitze des TSV Oberkleen stehen würde - und das, obwohl er bis heute in Niederkleen wohnt.

Alles begann einst damit, dass er gefragt wurde, ob er das Amt des Kassierers übernehmen könne. Röhrich arbeitete damals für eine Bank in Frankfurt - zwar in der IT-Abteilung, aber immerhin. Da war er 22. Kurze Zeit später wollte der amtierende Vorsitzende in den Ruhestand. »Sie haben mich mit drei, vier Leuten überredet, dass ich es mal als Vorsitzender probiere.« Aus diesem Probieren wurden Jahrzehnte, auch weil seine Frau und Familie hinter ihm standen. Denn abends nach der Arbeit musste er regel- mäßig zu Besprechungen und Veranstaltungen.

Doch Röhrich macht kein großes Aufheben um sein Wirken. Er sieht sich lieber als Hintergrundarbeiter. Ein Vorsitzender, so sagt er, solle sich in die Arbeit der Abteilungen nicht zu sehr einmischen, sondern stattdessen diese unterstützen. Dass der Verein heute mit 630 Mitgliedern gut dasteht, sei jedenfalls der Verdienst vieler. »Es gab zu jeder Zeit Leute, die im sportlichen Bereich und beim Bauen mitgemacht haben. Ohne die wäre es nicht gegangen.«

In den vergangenen 40 Jahren hat er miterlebt, wie sich die Rahmenbedingungen für Sportvereine insgesamt und speziell für den TSV geändert haben. Als er ins Amt kam, war die vereinseigene Turnhalle gerade im Bau. »Das war nur durch die traditionellen Eigenleistungen möglich.« Die ortsansässigen Handwerker verzichteten fast durchgehend auf ihre Löhne, viele Arbeiten wurden von Freiwilligen übernommen. Um die Unterhaltung kümmerte sich anschließend ein Bauausschuss, »wir hatten drei, vier Bauingenieure im Vorstand«.

Doch die Zeiten änderten sich. »Die örtlichen Handwerker wurden weniger, die Kosten höher, es gab immer mehr Auflagen von der Bauaufsicht.« Der TSV konnte den Unterhalt nicht mehr stemmen. Vor einigen Jahren gab der Verein die Halle darum an die Gemeinde ab, hat sich aber vertraglich einige Nutzungsrechte gesichert.

Seit den 1980ern hat sich auch im Sportbereich einiges getan. Im Handball etwa habe man früher in der Spielgemeinschaft Kleenheim (Ebersgöns/Niederkleen/Oberkleen) 17 Teams im Jugend- und Erwachsenenbereich aufs Feld geschickt. Die Frauen spielten gar jahrelang in der Bundes- liga. Das war nur möglich, da es viele Helfer rund ums Spielfeld gab.

Über die Jahre seien die Helfer weniger geworden und auch im Spielerbereich käme bei den Erwachsenenteams nur noch ein Teil derer an, die einmal bei den Minis eingestiegen sind. »Ein Problem war das immer schon«, sagt Röhrich. »Aber es ist jedes Jahr schwerer geworden.«

Für Röhrich ist klar, dass der Erfolg oder Misserfolg einer Abteilung davon abhängt, ob es Menschen gibt, die hoch-motiviert sind und andere mitziehen, der harte Kern sozusagen.

Ein perfektes Beispiel dafür ist die Fußballabteilung des TSV. Sie war einst entstanden, weil sich einige Handballspieler nicht mit der Gründung der HSG 1972 abfinden wollten und daraufhin die Sportart wechselten. So wurde ein eigener Hartplatz gebaut. Zwischenzeitlich gab es zwei Teams und eine Nachwuchsabteilung. Dann kam der Bruch: Die Älteren wollten kürzer treten, aber es gab keine Nachfolger, nicht einmal aus den Reihen einst aktiver Spieler. »Denen war der FC Bayern wichtiger als der eigene Verein«, sagt Röhrich. »Es waren kaum noch Leute bereit, sich zu engagieren.« Vor gut fünf Jahren wurde das Kapitel Fußball darum geschlossen.

Die Schwimmabteilung ereilte ein ähnliches Schicksal, auch die Schützenabteilung war nur von kurzem Bestand. In anderen Abteilungen seien diese Übergänge besser gelungen. »Wenn ich Bedenken hatte, weil jemand aufhörte, habe ich immer versucht, Leute anzusprechen« sagt Röhrich. Er habe bereits im Vorfeld darauf hingewirkt, dass es weiter- gehe. Und meist ist ihm das gelungen.

Es sind grundsätzliche Gedanken, die Röhrich umtreiben. Etwa jener, dass junge Menschen lieber im Fitnessstudio monatlich einen Beitrag bezahlen, der einer Jahresmitgliedschaft im TSV entspricht, als in den Verein zu kommen. Das kann er nicht nachvollziehen, sagt er. Zumal es immer wieder aktuelle Angebote gibt. Der TSV habe stets versucht, am Puls der Zeit zu bleiben. Wenn er nur an all die vielen Trends im Gymnastikbereich denkt, die man Laufe der Zeit aufgegriffen habe. Von Aerobic über Line Dance bis Zumba. »Alle Trends kenne ich nicht mehr«, sagt er.

Ein Sportverein müsse sich generell an den Interessen der Mitglieder orientieren, findet der Vorsitzende. Zudem müsse er sich die Frage stellen, ob er seinen Fokus auf den Spitzen- oder den Breitensport legt. Beim TSV hat man dazu vor einigen Jahren die Mitglieder befragt, was sie sich wünschen. Ein Ergebnis, mit dem er nicht gerechnet hatte, war der Vorschlag für eine Wanderabteilung. »Die Älteren müssen auch Ideen der Jüngeren akzeptieren und diese die Ideen umsetzen lassen, auch wenn sie etwas skeptisch sehen.« Tatsächlich entstand aus der Idee einer engagierten Gruppe eine Abteilung, die stets 20 bis 40 Wanderer zu ihren Touren begrüßt.

Neben dem Handball ist die Leichtathletik in der gemeinsamen Abteilung mit Langgöns ein Schwerpunkt des TSV. Dreisprungweltmeister Charles Friedek hat hier seine ersten Sprünge gemacht, auch Sprinterin Lisa Mayer startete ihre Karriere. »Sie haben über 1000 Titel errungen«, sagt Röhrich mit Blick auf die Leichtathleten. »Hessenmeister in Massen, die Kreismeistertitel kann ich nicht mehr zählen.«

Erfolge der Vereinssportler sind Röhrich mehr wert als sein Landesehrenbrief oder andere Auszeichnungen. Diese stehen in einer Kiste irgendwo im Haus.

Nur eine Auszeichnung hat einen prominenten Platz erhalten: Die Holzbank im Hof, verziert mit dem Wappen des TSV Oberkleen. Im vergangenen Sommer bekamen Röhrich und Rainer Finkernagel, seit 50 Jahren Trainer im Leichtathletikbereich, jeweils eine Bank als Dank für ihre jahrzehntelange Vorstandsarbeit geschenkt. Auf ihr lässt sich gut über die Zukunft des Vereins nachdenken.

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