Im Bauch der Talbrücke

Es ist ein Ort, den meist nur alle paar Jahre ein Mensch betritt: Das Innere der Lumdatalbrücke der B 3 zwischen Staufenberg und Lollar. Mit Brückenprüfer Achim Hofmann auf Erkundungstour.
Im Licht der Taschenlampe erscheint in gut 40 Metern Entfernung eine Wand. In der Mitte ist ein Durchschlupf, dahinter ist es dunkel. Rechts und links hängen gewaltige Rohre an der Decke. An den Wänden finden sich ab und zu Kreidezeichnungen. Ohne Taschenlampenlicht ist es finster, fällt nur hin und wieder durch eine Bodenluke oder ein Lüftungsrohr ein Lichtstrahl.
401 Meter langer finsterer Gang
Plötzlich kommt ein Grollen auf. Es nähert sich aus der Finsternis, kommt näher und rollt über die Köpfe hinweg. Vermutlich ein Holzlaster. Der Boden schwingt leicht.
Es ist ein Ort, an den nur selten Menschen kommen und von dem manche nicht einmal wissen, dass er existiert: Der Bauch der Lumdatalbrücke der B 3 bei Staufenberg. 1980 wurde das 401 Meter lange Bauwerk aus Stahlbeton als sogenannte Hohlkastenbrücke errichtet. Es führt über die stillgelegte Lumdatalbahnstrecke, eine Kreisstraße und die Lumda. Über die Brücke - genau genommen sind es zwei direkt nebeneinander gebaute Brückenzwillinge - läuft die B 3 mit je zwei Fahrspuren in Richtung Marburg und Gießen plus jeweils Standstreifen und Auf- und Abfahrt der Anschlussstelle Staufenberg-Süd.
Genauso wie die Fahrzeuge, die über die Brücke rollen, muss die Brücke regelmäßig zur Hauptuntersuchung. Dafür ist Achim Hofmann zuständig. Er ist bei Hessen Mobil Sachgebietsleiter Bauwerksprüfung Hessen-Mitte und damit für Brücken, Lärmschutz- und Stützwände in sieben Landkreisen - mit Ausnahme der Autobahnen - zuständig.
Auf ihn und sein 15-köpfiges Team wartet viel Arbeit: Rund 5000 Bauwerke, davon allein 2000 Brücken, müssen alle drei Jahre auf Sicht und alle sechs Jahre zentimeterweise geprüft werden. Dies schreibt die DIN 1076 so vor, die nun ihren 91. Geburtstag feiert. Das Ziel dahinter ist klar: Brückeneinstürze mit Toten und Verletzten, wie etwa in Genua, sollen verhindert werden. Ist eine Brücke bereits in einem schlechterem Zustand, wird das Prüfintervall verkürzt.
Nun ist die Talbrücke bei Staufenberg nicht nur 40 100 Zentimeter lang, sondern auch noch jede der beiden Brücken 1450 Zentimeter breit. Davon jeden Quadratzentimeter anzuschauen, ist eine Aufgabe. »Da ist man mit einem Team eine Woche lang beschäftigt.« Unter die Brücke gelangen die Prüfer mit einer Art umgedrehten Hubsteiger. Dieser fährt Stück um Stück unter der Brücke entlang, während vier Prüfer gleichzeitig jede Stelle abklopfen.
Auch das Innere der Brücke wird Zentimeter um Zentimeter geprüft. Die Experten sind dabei auf der Suche nach Rissen und Hohlräumen im Beton. »Spannbeton ist einfach ein genialer Baustoff«, sagt Hofmann. Nur mit ihm lassen sich Spannweiten von 40 und mehr Metern erreichen. Bei der Lumdatalbrücke sind es beispielsweise 43 bis 45 Meter Distanz zwischen den Pfeilern.
Im Beton liegen neben Armierungen auch Spannstahlseile. Diese werden während des Baus auf Zug gebracht und geben der Brücke Stabilität. Der Nachteil des Materials ist jedoch, dass es korrodieren kann - also rostet. Da der Rost wesentlich mehr Platz braucht, wird der Beton aufgesprengt. Dadurch entstehen Hohlräume.
Mit dem Hammer klopft Hofmann die Wände der Brücke ab. Die Hohlräume erzeugen dabei ein Geräusch, dass selbst der Laie von einer festen Betonwand unterscheiden kann. Schwieriger wird es hingegen bei den Rissen. Diese sind teils nicht einmal so breit wie ein Haar.
Mit einer Rissweitenschablone wird ausgemessen, wie breit der Riss ist. Mit Kreide wird dann der Fund markiert und die Ausdehnung daneben notiert. So kann die Stelle bei der nächsten Prüfung leicht erkannt und etwaige Veränderungen festgestellt werden. Zudem wird alles in einem Plan erfasst. Die Schablone endet bei fünf Millimetern. »Alles darüber wäre ein ziemliches Problem«, sagt Hofmann. »Bereits ab einem Millimeter wird es kritisch.«
Auf der Suche nach Haarrissen
Risse im Beton sind nichts Ungewöhnliches, erklärt der Fachmann. »Sie gehören zu dem Material dazu. Es kommt nur darauf an, dass sie sich gut verteilen und nicht zu groß werden.« Auf die Brücken wirken viele Kräfte ein. Zum einen rollt der Verkehr über sie hinweg - wobei das Bauwerk von den Pkw eigentlich nichts spürt. Nur die schweren Laster gehen an die Substanz.
Zudem dehnt sich die Brücke bei Hitze aus, zieht sich bei Kälte zusammen. Das sind bei der Lumdatalbrücke mehrere Zentimeter Differenz.
Die Brücke liegt darum sowohl an ihren Enden als auch auf den Pfeilern auf Lagern auf, die die Bewegung aufnehmen. Auch diese werden geprüft. Über eine Luke gelangt man aus dem Inneren auf die Spitze der Pfeiler. An einem überdimensionierten Lineal kann man dort ablesen, in welche Richtung sich die Brücke gerade ausgedehnt hat.
So wie beim Auto gibt es auch bei Brücken typische Verschleißteile. »Die Übergangskonstruktionen«, nennt Hofmann als Beispiel. Das ist die Stelle, an der die Fahrbahn auf die Brücke übergeht. Der Autofahrer kennt sie als schwarze Gummilinie im Asphalt. In der Regel sind diese Übergänge alle zehn Jahre verschlissen. Auch die Brückenkappen - was man als erhöhten Gehweg sieht - werden vom Tausalz über die Jahre hinweg angegriffen. Nicht zuletzt ist die Fahrbahn selbst ein Teil, der auf Dauer abgenutzt wird.
Werden bei der Kontrolle Schäden festgestellt, wird die Bauabteilung informiert. Diese entscheidet dann über Reparaturmaßnahmen. Bei der Lumdatalbrücke sind derzeit keine gravierenden Reparaturen in Sicht. Eine gute Nachricht für alle, die sie täglich befahren.



