»Ihr seid die Zukunft«

Der Holocaust kann und darf nicht vergessen werden. Dafür macht sich Ivar Buterfas-Frankenthal stark und reist quer durch Deutschland, um von seiner Geschichte zu erzählen. Über 1500 Auftritte hatte der 90-Jährige schon. Nun war er bei den Zehntklässlern an der Clemens-Brentano-Europa-schule zu Besuch.
Ivar Buterfas-Frankenthal lehnt sich auf seinem Stuhl nach vorne, blickt auf die Jugendlichen und sagt: »Ihr seid die Zukunft. Wir legen unsere Demokratie vertrauensvoll in eure Hände.« Dem 90-Jährigen ist wichtig, dass Demokratie und Toleranz in der Gesellschaft dominieren. Denn er hat bereits ganz andere Erfahrungen machen müssen. Buterfas-Frankenthal ist Zeitzeuge des dunkelsten Kapitels der deutschen Geschichte: dem Nationalsozialismus.
Gemeinsam mit seiner Frau Dagmar sitzt er vor den knapp 200 Jugendlichen und macht gleich zu Beginn klar, dass sie nicht für Schuldzuweisungen gekommen sind. Denn das, was ihm angetan wurde, habe er mittlerweile verziehen. »Aber vergessen werde ich nichts«, fügt er ernst hinzu.
Buterfas-Frankenthal ist 1933 als zweitjüngstes von acht Kindern in Hamburg geboren. Sein Vater war Jude, seine Mutter Christin. Sein Vater war von 1933 bis 1945 im KZ und überlebte. 1942 wurde die Familie staatenlos, Buterfas-Frankenthals Mutter flüchtete mit den acht Kindern nach Polen, da die Deportation bevorstand. Ein Jahr später kehrten sie zurück nach Hamburg und versteckten sich von dort an bis Kriegsende im Mai 1945.
Die Staatenlosigkeit war für den 90-Jährigen eine große Demütigung. Bis 1964, also für ganze 22 Jahre haftete dieses Stigma an ihm. »Es war für viele tödlich, sie haben sich das Leben genommen«, sagt er ernst. Denn mit einer fehlenden Staatszugehörigkeit wird nicht nur ein entscheidender Teil der Identität geraubt: Auch die Jobsuche oder die Suche nach einer Lehre gestaltet sich als unmöglich.
Blickt Buterfas-Frankenthal auf politisch rechtsradikale Parteien, hat er eine klare Haltung: »Wir müssen das braune Gedankengut entfernen, aus der Gesellschaft und aus dem Bundestag. Das ist ein Haufen Irrer.«
Im gleichen Zuge warnt er aber auch die Jugendlichen. Denn mit diesen Leuten solle man sich nicht einlassen, nicht verbal und erst recht nicht körperlich. »Da zieht ihr leider immer den Kürzeren.« Nichtsdestotrotz müsse man explizit hinsehen und aktiv werden, wenn man Vorfälle von Rassismus, Antisemitismus oder Ausgrenzung beobachtet. »Ruft die Polizei. Die kümmern sich um das Gesindel«, sagt er.
Generell macht er sich in seinem Vortrag stark für die deutsche Polizei. »Wir haben mit Abstand die beste Polizei der Welt.« In Amerika sehe das bei Vorfällen wie um George Floyd ganz anders aus.
Er erzählt den Jugendlichen von seiner Flucht nach Polen und von seinen Erfahrungen mit Kindern von HJ und BDM. Die Berichte bestürzen die Schüler, es ist ganz still in der Aula. »Ich hätte nie erwartet, dass Kinder gegenüber anderen Kindern so grausam sein können. Daher meine Bitte an euch: seid besser. Vermeidet jedes Mobbing«, betont Buterfas-Frankenthal.
Denn der 90-Jährige hat nicht vergessen, was damals geschehen ist. Was in den Konzentrationslagern passiert ist, was für furchtbare Dinge die Menschen erleben mussten. Dass, was er und viele andere sich seitdem erarbeitet haben, soll nicht mit der Wahl einer rechtsradikalen Partei zunichte gemacht werden. »Der braune Sumpf muss ausgetrocknet werden.« Er fordert von den Schülern, dass sie die deutsche Demokratie schützen. »Ich verlange von euch, dass ihr beim Wählen das Kreuz an der richtigen Stelle macht!«, ruft er in den Saal. »Ist das verstanden worden?«, fragt er gleich darauf nach. Denn es ist ihm wichtig, dass der Holocaust nicht heruntergespielt wird - und dass er sich nicht wiederholt.
Im Anschluss an seinen Vortrag dürfen die Schüler Fragen stellen. Eine Zehntklässlerin fragt ihn, wie er sich gefühlt hat, als er erfuhr, dass der Zweite Weltkrieg vorbei war. Er lächelt und antwortet: »Das war unbeschreiblich. Es war ein unglaublicher Tag, wir haben getanzt vor Freude.«